• Medienrecht

Auch Mörder haben ein Recht auf Vergessen

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs stattgegeben, mit der sich ein verurteilter Mörder gegen die Online-Berichterstattung einer fast 40 Jahre zurückliegenden Tat bei Spiegel Online wandte. In der Berichterstattung geht es um den Segler P. T., der auf einem Hochsee-Törn den Schiffseigner und dessen Freundin erschoss und hierfür ein Jahr später vom Landgericht Bremen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der Spiegel berichtete damals mehrfach über das Aufsehen erregende Gerichtsverfahren - unter voller namentlicher Nennung des Täters, was damals auch rechtlich zulässig war. Da der Spiegel seit 1999 aber alle alten Ausgaben online zugänglich gemacht hat, sind die Texte über den Apollonia-Prozess noch heute problemlos auffindbar. Hiergegen ging P. T. vor und berief sich auf das Recht auf Vergessen (Beschluss vom 06. November 2019 - 1 BvR 16/13).

von Carl Christian Müller

Bundesverfassungsgericht entscheidet im Fall Apollonia

Recht auf Vergessen kommt in Zeiten des Internets besondere Bedeutung zu

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab dem Mann recht und hob das Urteil des Bundesgerichtshof, der die Sache noch anders beurteilt hatte, auf. In der Urteilsbegründung führt das BVerfG aus, dass bei der Beurteilung des Falles dem Recht auf Vergessen "unter den Kommunikationsbedingungen des Internets besonderes Gewicht zukommt". Unter den heutigen Bedingungen der Informationstechnologie und der Verbreitung von Informationen durch das Internet bekomme die Berücksichtigung der Einbindung von Informationen in die Zeit indes eine neue rechtliche Dimension. Während Informationen früher als Printmedien und Rundfunksendungen der Öffentlichkeit nur in einem engen zeitlichen Rahmen zugänglich waren und anschließend weithin in Vergessenheit gerieten, blieben sie heute – einmal digitalisiert und ins Netz gestellt – langfristig verfügbar.

Kein generelles Recht auf Vergessenwerden

Allerdings folge aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kein „Recht auf Vergessenwerden“ in einem grundsätzlich allein von den Betroffenen beherrschbaren Sinn. Welche Informationen als interessant, bewundernswert, anstößig oder verwerflich erinnert werden, unterliegt insoweit nicht der einseitigen Verfügung des Betroffenen. So dürfe ein Verlag anfänglich rechtmäßig veröffentlichte Berichte grundsätzlich auch in ein Onlinearchiv einstellen. Schutzmaßnahmen seien erst dann geboten, wenn Betroffene sich an ihn gewandt und ihre Schutzbedürftigkeit näher dargelegt haben.

Verlage müssen Abwägung im Einzelfall vornehmen 

In diesem Fall sei dann vom Medium ein Ausgleich herbeizuführen, der einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend erhält, diesen bei Schutzbedarf – insbesondere gegenüber namensbezogenen Suchabfragen mittels Suchmaschinen – aber einzelfallbezogen doch hinreichend begrenzt. In dem konkreten Fall hätte Spiegel Online Vorkehrungen auferlegt werden können und müssen, die zumindest gegen die Auffindbarkeit der Berichte durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen einen gewissen Schutz bieten, ohne die Auffindbarkeit und Zugänglichkeit des Berichts im Übrigen übermäßig zu hindern.

Das BVerfG hat den Fall nun an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen, der nun genau diese Maßnahmen prüfen muss. 

 

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