Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über Umfang und Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts zu Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung entschieden.
BVerfG: Informationsrecht der Bundestagsabgeordneten über Rüstungsexporte
von Carl Christian Müller
Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet,
Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass
der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft
genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist. Darüber
hinaus gehende Angaben, etwa zu den Gründen der Entscheidung, sind
verfassungsrechtlich nicht geboten. Ebenso wenig müssen Auskünfte zu
noch nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, etwa über
Voranfragen, da der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung
in diesem Stadium noch nicht abgeschlossen ist.
Sachverhalt:
Antragsteller des Organstreitverfahrens sind die Bundestagsabgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Katja Keul und Claudia Roth. Im Juli 2011
richteten sie Fragen über Waffenexporte nach Saudi-Arabien und Algerien
an die Bundesregierung, die Antragsgegnerin des Verfahrens ist. Die
Antragsgegnerin verweigerte die Antwort, soweit sich die Fragen auf
konkrete Genehmigungen bezogen. Dabei verwies sie insbesondere auf die
Geheimhaltungsbedürftigkeit von Entscheidungen des
Bundessicherheitsrats. Die Antragsteller sehen sich hierdurch in ihren
Abgeordnetenrechten verletzt.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Anträge sind teilweise begründet.
1. Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein
Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der
Bundesregierung, dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der
Bundesregierung korrespondiert. Die parlamentarische Kontrolle der
Regierung verwirklicht zum einen den Grundsatz der Gewaltenteilung, denn
ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein
Kontrollrecht nicht ausüben. Zum anderen wird der
Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft auch
durch die parlamentarische Kontrolle der Politik der Regierung
hergestellt. Geheimhaltung gegenüber dem Parlament beschränkt die
Kontrollmöglichkeiten und kann deshalb den notwendigen demokratischen
Legitimationszusammenhang beeinträchtigen oder unterbrechen.
2. Der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen
Abgeordneten besteht gleichwohl nicht grenzenlos. Er wird begrenzt durch
das Gewaltenteilungsprinzip, das Staatswohl und Grundrechte Dritter.
a) Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG dürfen zur Kriegführung bestimmte
Waffen nur mit Genehmigung „der Bundesregierung“ hergestellt, befördert
und in Verkehr gebracht werden.
aa) Weder aus dieser Zuständigkeitszuweisung noch aus der
außenpolitischen Bedeutung von Rüstungsexporten folgt indes, dass sie
von vornherein jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen wären. Die
Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk setzt jedoch
einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung voraus. Die Beratung und
Beschlussfassung im Bundessicherheitsrat unterfallen diesem Kernbereich.
Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich nur auf bereits
abgeschlossene Vorgänge.
Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Bundesregierung zur
Einrichtung des Bundessicherheitsrates und zur Übertragung der
Entscheidungsbefugnis über Kriegswaffenexportanträge auf diesen oder auf
einzelne Bundesminister berechtigt war und ist. Denn im Rechtsverhältnis
zum Bundestag und seinen Mitgliedern sind die Genehmigungsentscheidungen
nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG der Bundesregierung zuzuordnen.
bb) Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung ist nicht bereits
mit der positiven Antwort auf eine Voranfrage, sondern erst mit dem
Beschluss des Bundessicherheitsrats zu einem formellen
Genehmigungsantrag abgeschlossen. Bei der Beantwortung einer Voranfrage
handelt es sich um eine Auskunft über die Genehmigungsfähigkeit des
beabsichtigten Exports, nicht um eine Zusicherung oder gar um eine
Teilgenehmigung. Der Bundessicherheitsrat und die beteiligten
Ministerien sind folglich an die positive Beantwortung einer Voranfrage
nicht gebunden.
Eine Antwortpflicht der Bundesregierung in Bezug auf Voranfragen würde
daher in einen noch nicht abgeschlossenen ressortübergreifenden
Willensbildungsprozess eingreifen. Der rechtlich nicht gebundene
Bundessicherheitsrat würde der Einflussnahme des Parlaments auf seine
Entscheidung über den nachfolgenden Genehmigungsantrag ausgesetzt. Damit
würde dem Parlament das faktische Mitregieren bei einer Entscheidung
ermöglicht, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegt. Die
Kontrollaufgabe des Parlaments würde in eine Steuerungsbefugnis
verkehrt, die ihm ausweislich von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG in diesem
Bereich nicht zukommt.
cc) Über eine positive Genehmigungsentscheidung hat die Bundesregierung
den Bundestag und seine Mitglieder jedoch auf Anfrage zu unterrichten.
Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin erfolgt in der Staatspraxis die
abschließende Entscheidung im Bundessicherheitsrat; damit endet der
Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung für die getroffene
Entscheidung.
dd) Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, über den Inhalt und den
Verlauf der Beratungen im Bundessicherheitsrat und über das
Abstimmungsverhalten seiner Mitglieder Auskunft zu geben. Die Mitglieder
des Gremiums sind auf die Vertraulichkeit der Beratungen in besonderem
Maße angewiesen, da die Entscheidung eine eingehende Beurteilung des
Empfängerlandes erfordert, etwa im Hinblick auf dessen politische und
militärische Stabilität. Die Preisgabe der Beratungsabläufe wäre daher
ein erheblicher Eingriff in den Kernbereich exekutiver
Eigenverantwortung. Das parlamentarische Informationsinteresse fällt
demgegenüber weniger stark ins Gewicht.
b) Eine weitere Grenze des Informationsanspruchs des Bundestages bildet
das Staatswohl, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger
Informationen gefährdet werden kann.
aa) Die Weitergabe der Information, ob der Bundessicherheitsrat eine
Voranfrage beschieden hat, kann zu Verwerfungen im Verhältnis zu dem
jeweiligen Erwerberland führen. Zum einen können noch geheime
Rüstungserwerbsabsichten dieses Landes publik werden; zum anderen kann
das Bekanntwerden einer negativen Einschätzung das interessierte Land
öffentlich brüskieren. Wenn auch die Gründe für die Ablehnung einer
Genehmigung oder Voranfrage mitgeteilt werden müssten, etwa die Gefahr
der Verwendung bei einer friedensstörenden Handlung oder bei
Menschenrechtsverletzungen, drohte eine erhebliche Beeinträchtigung
außenpolitischer Interessen. Zudem könnte dies Rückschlüsse auf
Informationsquellen der Bundesregierung zulassen, an deren Geheimhaltung
ein berechtigtes Interesse besteht.
Auch über das Verhältnis zum Erwerberland hinaus haben
Rüstungsexportentscheidungen in der Regel eine diplomatische Dimension.
Ihr vorzeitiges Öffentlichwerden kann die Abschätzbarkeit der deutschen
Außenpolitik für andere Länder erleichtern und damit Verhandlungs- und
Gestaltungsspielräume verengen. Gleiches gilt für das Bekanntwerden der
Gründe für die Bewilligung oder Ablehnung einer Genehmigung.
Ein frühzeitiges Bekanntwerden birgt darüber hinaus die Gefahr, dass ein
drittes Land versucht, das Geschäft zu verhindern, oder dass
ausländische Konkurrenzunternehmen sich bemühen, das Geschäft durch
Abgabe eines günstigeren Angebots an sich zu ziehen. Dies kann
jedenfalls dort ein Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung aus
Gründen des Staatswohls rechtfertigen, wo die Durchführung des
Exportgeschäfts im außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik liegt.
Zudem stellt die Aufrechterhaltung eines nationalen Rüstungswesens ein
legitimes staatliches Ziel dar.
bb) Die Zäsurwirkung der positiven Genehmigungsentscheidung des
Bundessicherheitsrates schließt nicht aus, dass die Bundesregierung aus
den genannten Gründen des Staatswohls in Einzelfällen ausnahmsweise auch
die Antwort auf die Frage verweigern darf, ob eine solche Entscheidung
getroffen wurde. Wann eine solche Antwortverweigerung gerechtfertigt
sein kann, bedarf hier keiner Entscheidung.
c) Eine weitere Einschränkung der Antwortpflicht der Bundesregierung
ergibt sich aus dem grundrechtlichen Schutz der Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse der jeweiligen Rüstungsunternehmen (Art. 12 Abs. 1
GG).
aa) Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist insoweit nicht durch
Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG eingeschränkt. Das Grundgesetz missbilligt
nicht die Vorbereitung und Anbahnung eines Kriegswaffenexportgeschäfts,
sondern allenfalls dessen nicht genehmigte Durchführung.
bb) Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen der deutschen
Rüstungsindustrie durch Offenlegung von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen ist insoweit gerechtfertigt, wie die
Bundesregierung Auskunft über die Entscheidung des Bundessicherheitsrats
gibt, ein konkretes Kriegswaffenausfuhrgeschäft zu genehmigen, und in
diesem Rahmen Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das
Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und über das
Gesamtvolumen des Geschäfts macht. Darüber hinaus gehende Angaben würden
grundsätzlich in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der
Unternehmen eingreifen. Dies gilt insbesondere für Angaben, die so
konkret sind, dass aus ihnen auf vertrauliche Informationen, etwa auf
den Einzelpreis eines bestimmten Rüstungsguts, rückgeschlossen werden
könnte.
Im Rahmen der erforderlichen Abwägung ist das Interesse der
Rüstungsunternehmen an Geheimhaltung bis zur endgültigen
Genehmigungsentscheidung des Bundessicherheitsrates höher zu bewerten
als das berechtigte Informationsinteresse der Abgeordneten. In der Phase
der Geschäftsanbahnung ist die Information, dass ein bestimmtes
Empfängerland ein bestimmtes Rüstungsgut erwerben möchte, besonders
wettbewerbsrelevant. Das Informationsinteresse der Abgeordneten ist in
diesem Stadium zwar ebenfalls besonders hoch, aber nicht schützenswert,
da es auf ein dem Gewaltenteilungsprinzip widersprechendes Mitregieren
zielt.
Nach erfolgter Genehmigungsentscheidung des Bundessicherheitsrates ist
die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Unternehmen geringer. In Bezug
auf Angaben, die über die Genehmigungsentscheidung des
Bundessicherheitsrates und die Grunddaten des
Kriegswaffenausfuhrgeschäfts hinausgehen, fällt die Abwägung jedoch
weiterhin grundsätzlich zugunsten der Unternehmen aus.
d) Maßnahmen des Geheimnisschutzes auf Seiten des Parlaments können den
beschriebenen Interessenskonflikt nicht auflösen.
aa) Durch die Beschränkung des Fragerechts auf die Mitglieder eines
parlamentarischen Kontrollgremiums würde zwar ein wesentlich höheres Maß
an Geheimhaltung ermöglicht; sie griffe aber ihrerseits in die Rechte
der dort nicht vertretenen Abgeordneten ein. Erfolgt eine solche
Delegation im Interesse besonderer Vertraulichkeit, muss sie auf wenige
Ausnahmen mit begrenztem Anwendungsbereich beschränkt bleiben und
zwingend erforderlich sein. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Dem Erhalt zusätzlicher Informationen stünde eine erhebliche
Beschränkung der parlamentarischen Kontrolle und der Statusrechte der
nicht im Gremium vertretenen Abgeordneten gegenüber. Zudem entfiele
dadurch, dass die Kontrolle der Parlamentsöffentlichkeit entzogen würde,
auch die Kontrolle durch die Bürger, die der effektiven
Verantwortlichkeit des Parlaments gegenüber dem Wähler dient.
bb) Auch durch eine Information nach Maßgabe der Geheimschutzordnung
kann der Interessenskonflikt nicht aufgelöst werden. Eine unter
Bedingungen der Geheimschutzordnung erlangte Information können die
Parlamentarier nicht im öffentlichen Meinungsbildungsprozess
diskutieren. Öffentlichkeit ist jedoch essentiell für die Ausübung der
Kontrollfunktion des Parlaments. In der politischen Realität ist das
Fragerecht ganz überwiegend ein Mittel der Opposition, welches zu seiner
Wirksamkeit grundsätzlich auf Öffentlichkeit angewiesen ist.
e) Die Pflicht der Bundesregierung, parlamentarische Anfragen zu
positiven Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrates zu
beantworten, wird nicht schon durch die jährlich veröffentlichten
Rüstungsexportberichte erfüllt. Sowohl die Struktur und der Gehalt der
Information als auch ihr Zeitpunkt werden beim Rüstungsexportbericht
nicht durch die Abgeordneten, sondern durch die Bundesregierung
bestimmt. Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung sind zudem
nicht hinreichend präzise, um das berechtigte parlamentarische
Informationsinteresse zu befriedigen.
f) Innerhalb des vorgenannten Rahmens reicht die generelle Berufung auf
die Geheimhaltung der Beratungen des Bundessicherheitsrates aus; eine
gesonderte Begründung der Antwortverweigerung ist nicht erforderlich.
Eine Begründungspflicht besteht allerdings insoweit, wie die
Bundesregierung die Auskunft über eine erteilte Genehmigung oder über
die in diesem Rahmen mitzuteilenden Generalia des Exportgeschäfts
verweigern will.
3. Die Antragsgegnerin hat die Rechte der Antragsteller aus Art. 38 Abs.
1 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG teilweise verletzt.
a) Die Zusatzfrage des Antragstellers Christian Ströbele in der
Fragestunde des Deutschen Bundestages am 6. Juli 2011 richtete sich
unter anderem darauf, ob der Bundesregierung Erkenntnisse über die
Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten in Saudi-Arabien vorliegen.
Die Antwort kann nicht durch Verweis auf das Ressortprinzip, hier auf
die fehlende Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie, verweigert werden, denn das Fragerecht der Abgeordneten
besteht gegenüber der Bundesregierung.
b) Bei der Antwort auf die schriftliche Frage 7/193 des Abgeordneten
Christian Ströbele vom 14. Juli 2011 hätte es der Antragsgegnerin
oblegen, dem Antragsteller mitzuteilen, ob der Bundessicherheitsrat die
Lieferung von 200 Panzern des Typs Leopard nach Saudi-Arabien genehmigt
hat. Zu darüber hinausgehenden Angaben war die Antragsgegnerin
allerdings nicht verpflichtet.
c) Auf die schriftliche Frage 7/132 der Antragstellerin Katja Keul von
Juli 2011 hätte die Antragsgegnerin mitteilen müssen, ob und
gegebenenfalls wann der Bundessicherheitsrat den Verkauf der in der
Frage benannten Rüstungsgüter an Algerien genehmigt hat. Zur Darlegung
der Gründe für die etwaige Entscheidung des Bundessicherheitsrates war
die Antragsgegnerin hingegen nicht verpflichtet.
Quelle: Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht vom 21.10.14