BVerwG: Ausgewogenheit als Voraussetzung für den Rundfunkbeitrag

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein ausgewogenes und vielfältiges Programm bieten muss, um die Erhebung des Rundfunkbeitrags verfassungsrechtlich zu rechtfertigen (Urt. v. 15.10.2025, Az. 6 C 5.24). Fehlt es daran über einen längeren Zeitraum, kann die Beitragspflicht verfassungswidrig sein.

von Olivia Wykretowicz

Brief mit dem Schriftzug "Beitragsservice", der die Zahlungsaufforderung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrag in Deutschland dokumentiert

Hintergrund des Verfahrens

Gegenstand des Verfahrens war eine Klage gegen den Bayerischen Rundfunk, angestrengt von einem Mitglied der Bürgerinitiative „Leuchtturm ARD“. Die Klägerin argumentierte, der öffentlich‑rechtliche Rundfunk biete keine genügende Meinungsvielfalt, sodass kein individueller Vorteil im Sinne des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV) bestehe. Nach Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht München und den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) legte sie Revision ein – mit Erfolg.

Das BVerwG stellte klar, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beitragspflicht nur dann gegeben ist, wenn der Rundfunk seinen Auftrag erfüllt, ein vielfältiges, ausgewogenes und staatsfernes Informationsangebot sicherzustellen.

Verwaltungsgerichte dürfen Programmausgewogenheit prüfen

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts öffnet erstmals den Weg, den Programmauftrag des öffentlich‑rechtlichen Rundfunks auch vor Gericht inhaltlich zu überprüfen. Damit sind künftig nicht mehr nur die Rundfunkräte für die Kontrolle zuständig. Wenn deutliche Hinweise darauf bestehen, dass Sender über längere Zeit einseitig berichten oder wichtige Perspektiven ausblenden, müssen die Gerichte genauer hinsehen und im Zweifel das Bundesverfassungsgericht einschalten.

Mit dieser Entscheidung stärkt das BVerwG die Rolle der Gerichte insgesamt: Sie können nun aktiv mitentscheiden, ob der öffentlich‑rechtliche Rundfunk seinem gesellschaftlichen Auftrag als ausgewogener Gegenpol zu den privaten Medien noch gerecht wird.

Keine Einzelkritik, Gesamtprogramm entscheidend

Das Gericht stellte zugleich klar, dass vereinzelt beanstandete Beiträge oder Themen nicht genügen, um die Beitragspflicht infrage zu stellen. Entscheidend sei das Gesamtprogramm über einen längeren Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Nur wenn dieses dauerhaft und umfassend gegen die Gebote von Vielfalt und Ausgewogenheit verstoße, sei der Beitrag möglicherweise verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt.

Der Senat empfahl eine objektive Beurteilung durch wissenschaftliche Gutachten und Medienanalysen. Damit sollen künftige Verfahren auf gesicherte empirische Basis gestellt werden.

Reaktionen auf das Urteil

Die Klägerseite wertete die Entscheidung als wichtigen Etappensieg, da Bürgerinnen und Bürger nun direkte gerichtliche Überprüfungen der Programmgestaltung anstoßen können. Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget betonte jedoch, dass der Nachweis mangelnder Vielfalt schwer zu führen sei, weil er sich auf das gesamte Programm beziehen müsse.

Für den Bayerischen Rundfunk erklärte die Leiterin der Rechtsabteilung, Dr. Sabine Mader, das Gericht habe bestätigt, dass die Beitragspflicht nicht von der Zustimmung zu einzelnen Inhalten abhänge. „Um Perspektivenvielfalt und journalistische Ausgewogenheit ringen wir täglich“, so Mader.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil markiert einen Wendepunkt in der Diskussion um die Legitimation des Rundfunkbeitrags. Erstmals hängt dessen verfassungsrechtliche Begründung unmittelbar von der Programmqualität ab. Für die Rundfunkanstalten ergibt sich daraus eine erhöhte Rechenschaftspflicht, die über formale Aufsichtsgremien hinausgeht.

Für Beitragszahler bleibt die Hürde einer erfolgreichen Klage jedoch hoch: Nur wenn fundierte Nachweise für strukturelle, längerfristige Einseitigkeiten im Gesamtprogramm vorliegen, besteht überhaupt Aussicht, dass Gerichte die Beitragspflicht als verfassungswidrig ansehen. Einzelne Unzufriedenheit mit Berichterstattung oder Themenschwerpunkten genügt nicht.

Für Medienhäuser wie für Beitragszahler hat diese Entscheidung weitreichende juristische Bedeutung. Sie schafft eine neue Verbindung zwischen der Finanzierung des öffentlich‑rechtlichen Rundfunks und seiner inhaltlichen Leistung.

Künftig könnten vermehrt Verfahren entstehen, die auf eine gerichtliche Kontrolle der Programmvielfalt zielen. Für Kläger empfiehlt sich eine strategische Vorbereitung durch wissenschaftlich fundierte Gutachten, um die hohen Nachweisanforderungen des BVerwG zu erfüllen.

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