• Äußerungsrecht

Disziplinarmaßnahme gegen rumänischen Richter wegen Facebook-Posts verletzt Meinungsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in der Grand Chamber mit Urteil vom 15. Dezember 2025 endgültig entschieden, dass Rumänien das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt hat, indem es einen Richter für Äußerungen auf seiner Facebook-Seite disziplinarisch bestraft hat.

von Olivia Wykretowicz

Gebäude des EGMR in Straßburg

Hintergrund des Falls

Der Kläger, Vasilică-Cristi Danileţ, war als Richter am Cluj County Court tätig und postete im Januar 2019 zwei Beiträge auf seiner öffentlich sichtbaren Facebook-Seite, die sich kritisch mit dem Zustand demokratischer Institutionen in Rumänien beschäftigten. Die Beiträge wurden in den Medien breit wahrgenommen und lösten öffentliche Diskussionen aus.

Die rumänische oberste Richterdienstaufsicht (Consiliul Superior al Magistraturii, CSM) sah darin einen Verstoß gegen die Pflicht zur Zurückhaltung und verhängte eine Disziplinarstrafe in Form einer Gehaltskürzung (5 % für zwei Monate). Dieser Beschluss wurde später auch von der höchsten nationalen Instanz bestätigt.

Entscheidung des EGMR

Danilet klagte dagegen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Nach jahrelangem Verfahren stellte der EGMR in der Grand Chamber – dem höchsten Senat des Straßburger Gerichts – fest, dass:

  • die nationale Disziplinarmaßnahme in unverhältnismäßiger Weise in die durch Artikel 10 der Konvention geschützte Meinungsfreiheit eingegriffen hat;

  • die rumänischen Gerichte nicht ausreichend geprüft hatten, ob die Äußerungen des Richters in einem gesellschaftlich relevanten Diskurs standen und ob die Sanktion im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit gerechtfertigt war;

  • insbesondere der — auch abschreckende — Effekt der Sanktion auf andere Richter und Anwält:innen nicht angemessen berücksichtigt wurde.

Der Gerichtshof bekräftigte damit, dass auch Magistrat:innen ein Recht auf öffentliche Meinungsäußerung haben, insbesondere wenn es um Fragen von öffentlichem Interesse geht, und dass die Pflicht zur beruflichen Neutralität nicht pauschal jede öffentliche Äußerung ausschließt.

Rechtsstaatliche und praktische Bedeutung

Die Entscheidung ist endgültig und für alle 46 Vertragsstaaten der Konvention verbindlich. Sie setzt einen wichtigen Präzedenzfall zur Reichweite des Rechts auf freie Meinungsäußerung für Angehörige der Justiz, einschließlich auf digitalen Plattformen wie sozialen Netzwerken.

  • Nationale Disziplinarmechanismen müssen bei Sanktionen wegen öffentlicher Äußerungen strenger prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff in die Meinungsfreiheit erfüllt sind.

  • Richter:innen und andere Amtsträger:innen dürfen zu gesellschaftlich relevanten Themen Stellung nehmen, sofern dadurch nicht in unzulässiger Weise die Unparteilichkeit ihrer richterlichen Tätigkeit gefährdet wird.

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