Das Landgericht Frankfurt am Main hat am 14.12.2022 entschieden: Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden (Az. 2-03 O 325/22). Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt.
- Medienrecht
- Äußerungsrecht
Ehrverletzung durch herabwürdigenden Tweet
von Carl Christian Müller
LG Frankfurt: Auch kerngleiche Äußerungen müssen entfernt werden
Antisemitismusbeauftragten wird Pädophilie und Seitensprung vorgeworfen
Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“.
Behauptungen sind unwahr
Die zuständige Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main stellte in einem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.
Kommentare mit identischem Äußerungskern müssen ebenfalls unterlassen werden
Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Löschung dieser Kommentare verlangt hat, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied das LG Frankfurt am Main: „Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden.“ Und weiter: „Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen.“
Twitter hat keine allgemeine Monitoring-Pflicht
Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung. „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht“, so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung.
Bericht über Aufnahme in Liste größter Antisemiten zulässig
Als zulässig erachtete das Gericht indes die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden.
Quelle: Pressemitteilung des LG Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2022