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Erste BFSG-Abmahnungen im E-Commerce: Was Online-Händler:innen jetzt beachten müssen

Nach Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes erreichen erste Abmahnschreiben den Online-Handel. Wir ordnen die rechtliche Lage ein und zeigen, wie Händler:innen jetzt vorgehen können.

von Olivia Wykretowicz

BFSG-Abmahnungen Online-Handel was tun

Neue Pflichten durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Seit dem 29. Juni 2025 gilt für Online-Händler:innen in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Webseiten, Online-Shops und digitale Anwendungen müssen seither so gestaltet sein, dass sie für Menschen mit verschiedenen Einschränkungen zugänglich sind. Dies zum Beispiel durch vorlesbare Texte für Sehbehinderte (Screenreader-Kompatibilität), gut erkennbare Kontraste und große Schrift für Menschen mit Sehschwäche, Tastatur-Navigation statt ausschließlich Mausbedienung für motorisch eingeschränkte Personen sowie klar verständliche und einfache Sprache für kognitiv beeinträchtigte Nutzer:innen.

Die Anforderungen sind Teil der Umsetzung des European Accessibility Act und sollen den gleichberechtigten Zugang für alle Verbraucher:innen sicherstellen. Wer die Vorschriften ignoriert, riskiert laut Gesetz nicht nur Bußgelder bis zu 100.000€ durch Aufsichtsbehörden, sondern auch wettbewerbsrechtliche Abmahnungen. Beide Risiken bestehen parallel und ergänzend.

Die ersten Abmahnungen: Wer mahnt ab und weshalb?

Kaum trat das Gesetz in Kraft, erreichten zahlreiche Online-Händler:innen erste Abmahnungen. Im Fokus steht jetzt die CLAIM Rechtsanwalts GmbH, die im Auftrag von Herrn Christopher Liermann, Betreiber von „die-website-experten.de“, formale Schreiben verschickt. In den Abmahnungen wird pauschal behauptet, dass die Barrierefreiheitsvorgaben nicht eingehalten wurden, allerdings fehlt eine genaue Beschreibung des angeblichen Verstoßes. Oft wird lediglich ein Screenshot des Shops angefügt, ohne konkret zu benennen, welche gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt wurden.

Berechtigung der Abmahnungen und rechtliche Bewertung

Handelsverbände bezweifeln die Legitimität dieser ersten Abmahnungen. Grundsätzlich dürfen Abmahnungen nach UWG nur von Mitbewerbern, qualifizierten Verbänden oder bestimmten Verbraucherschutzorganisationen ausgesprochen werden. Es ist deswegen fraglich, ob ein Marketingdienstleister wie „die-website-experten.de“, der keine klassischen Handelsprodukte vertreibt, überhaupt als Wettbewerber gilt.

Zusätzlich gilt: Damit eine Abmahnung berechtigt ist, muss ein konkreter Rechtsverstoß nachvollziehbar aufgezeigt werden. Pauschale Vorwürfe ohne detaillierte Darstellung gelten juristisch als unbegründet und können erfolgreich abgewehrt werden. Die Abmahnungen wirken daher wie „Rundschreiben auf gut Glück“, um möglichst viele Shops zur Zahlung und Abgabe einer Unterlassungserklärung zu bewegen.

Was können betroffene Händler:innen jetzt tun?

  • Abmahnung prüfen lassen: Lassen Sie jedes Schreiben von Fachleuten für Wettbewerbsrecht und IT-Recht sorgfältig bewerten. Wir übernehmen das gerne für Sie.

  • Nicht vorschnell zahlen: Auch wenn einzelne Abmahnungen berechtigt sein könnten, sollte nicht ungeprüft gezahlt oder unterschrieben werden.

  • Nicht ignorieren: Reagieren Sie auf eine Abmahnung, aber legen Sie im Zweifel Widerspruch ein und fordern Sie eine detaillierte Darstellung des angeblichen Verstoßes.

  • Dokumentation anfertigen: Halten Sie fest, wie Ihr Shop den Anforderungen des BFSG entspricht. Insbesondere sollten Sie die erforderliche Barrierefreiheitserklärung gut sichtbar bereitstellen.

  • Aktiv anpassen: Prüfen Sie, ob Ihre digitalen Produkte, Bestellprozesse und Informationen den gesetzlichen Anforderungen genügen. Wer umgehend nachbessert und kooperativ auf Behörden und Abmahner reagiert, reduziert das Risiko weiterer Sanktionen erheblich.

Rechtliche Wachsamkeit: Expertenrat ist jetzt wichtig

Das Inkrafttreten des BFSG ist ein Meilenstein für digitale Teilhabe, bringt aber eine neue Abmahnrisiken mit sich. Die rechtliche Bewertung der ersten Abmahnungen ist eindeutig: Pauschale Vorwürfe von zweifelhaften Wettbewerbern sind meist unbegründet und können von Fachanwälten abgewehrt werden. Händler:innen sollten ihre Barrierefreiheitsmaßnahmen laufend prüfen und sich im Zweifel juristisch beraten lassen. So können Sie sich vor unberechtigten Forderungen schützen und zugleich die gesetzlichen Vorgaben und die Anforderungen von Verbraucher:innen erfüllen.

Wir beraten Sie gerne zur Bewertung und Abwehr von BFSG-Abmahnungen sowie zur rechtskonformen Barrierefreiheit Ihrer digitalen Angebote.

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