EuG zum Erwerb von Vivendi Universal Publishing durch Lagardère

Im September 2002 beschloss Vivendi Universal, eine im französischsprachigen Verlagswesen tätige Gesellschaft, ihre gesamte Buchverlagssparte, in der sie über ihre Tochtergesellschaft Vivendi Universal Publishing (im Folgenden: VUP) in Europa tätig war, zu veräußern.

von Carl Christian Müller

Der Lagardère-Konzern wollte diese Vermögenswerte erwerben. Im Jahr 2004 genehmigte die Kommission den Zusammenschluss vorbehaltlich bestimmter von Lagardère übernommener Verpflichtungen. Die Kommission war der Ansicht, dass der Zusammenschluss ohne diese Verpflichtungen auf mehreren Märkten zur Begründung oder Verstärkung beherrschender Stellungen führen würde, die eine erhebliche Behinderung eines wirksamen Wettbewerbs zur Folge hätten. Daher verpflichtete sich Lagardère, einen bedeutenden Teil der Vermögenswerte von VUP weiterzuveräußern. Sie setzte sich mit mehreren Unternehmen in Verbindung, die für den Erwerb dieser Vermögenswerte in Frage kamen. Zu ihnen gehörte die Gesellschaft Éditions Odile Jacob (im Folgenden: Odile Jacob), die ihr Interesse an dem Geschäft bekundete. Am Ende des Verfahrens zur Auswahl des Erwerbers der zu veräußernden Vermögenswerte von VUP erhielt Lagardère das Angebot eines anderen Unternehmens, der Wendel Investissement SA (im Folgenden: Wendel). Die Kommission erteilte ihre Zustimmung zu diesem Erwerber. Daraufhin erhob Odile Jacob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung, den Zusammenschluss zu genehmigen, und der Entscheidung, Wendel als Erwerber zuzulassen. Mit Urteilen vom 13. September 2010 bestätigte das Gericht die Entscheidung, den Zusammenschluss zu genehmigen, erklärte aber die Zulassungsentscheidung für nichtig, weil sie auf der Grundlage des Berichts eines Beauftragten ergangen war, der dem von der Kommission aufgestellten Erfordernis der Unabhängigkeit nicht genügte. Der Gerichtshof bestätigte die Urteile des Gerichts im Jahr 2012. Nach Erlass der Urteile des Gerichts stellte Lagardère bei der Kommission erneut einen Antrag auf Zulassung von Wendel, wobei sie einen neuen Beauftragten vorschlug, den die Kommission Anfang 2011 zuließ. Am 13. Mai 2011 stimmte die Kommission erneut dem Erwerb der übertragenen Vermögenswerte durch Wendel mit Wirkung zum 30. Juli 2004 zu. Gegen diese Entscheidung hat Odile Jacob wiederum Nichtigkeitsklage erhoben und u. a. geltend gemacht, die Kommission habe den Urteilen vom 13. September 2010 keine volle Wirksamkeit verliehen, gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen und bei der Beurteilung der Bewerbung von Wendel Rechtsfehler und offensichtliche Fehler begangen. Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht die Klage von Odile Jacob ab. Zunächst stellt das Gericht fest, dass die Kommission nicht zum Widerruf der Entscheidung, den Zusammenschluss zu genehmigen, verpflichtet war, um den Urteilen vom 13. September 2010 volle Wirksamkeit zu verleihen. Das Gericht weist insoweit darauf hin, dass die Nichtigerklärung der ersten Zulassungsentscheidung als solche keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, den Zusammenschluss zu genehmigen, hatte. Letztere war nämlich nur für unanwendbar erklärt worden, bis die Kommission zur möglichen Zulassung eines neuen Erwerbers Stellung nimmt. Im Übrigen war die Kommission nicht zum Widerruf der Entscheidung, den Zusammenschluss zu genehmigen, verpflichtet, da die Ernennung eines unabhängigen Beauftragten eine Auflage, aber keine Voraussetzung darstellte. Ferner führt das Gericht aus, dass die Kommission nicht verpflichtet war, das gesamte Verfahren ab dem Zeitpunkt, zu dem Lagardère den ersten Beauftragten ernannt hatte, wieder aufzunehmen, um den Urteilen vom 13. September 2010 volle Wirksamkeit zu verleihen. Die Kommission war nämlich nur verpflichtet, das Verfahren ab dem Zeitpunkt wieder aufzunehmen, zu dem die festgestellte Rechtswidrigkeit eingetreten war, d. h. bei Übergabe des Berichts des ersten Beauftragten und Erlass der ersten Zulassungsentscheidung. Da die vom ersten Beauftragten zuvor getroffenen Maßnahmen nicht in Frage gestellt worden waren, war die Kommission nicht verpflichtet, das Verfahren in diesem Stadium wieder aufzunehmen. Zum Vorbringen von Odile Jacob, die Kommission habe den Bericht des neuen Beauftragten nicht gebührend berücksichtigen können (da er ihr erst am Vortag des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorgelegt worden sei), weist das Gericht darauf hin, dass der Kommission die englische Sprachfassung des Berichts drei Monate vor Erlass des angefochtenen Beschlusses zur Verfügung stand, was es ihr ermöglichte, vollständige Kenntnis von dessen Inhalt zu erlangen. Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass es sich bei dem Bericht lediglich um einen der in die Beurteilung der Kommission eingeflossenen Faktoren handelt und dass die Kommission weiterhin verpflichtet war, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen, um Gewissheit darüber zu erlangen, dass der Erwerber die Zulassungskriterien auch wirklich erfüllte. Zur geltend gemachten rechtswidrigen Rückwirkung des Beschlusses vom 13. Mai 2011 weist das Gericht darauf hin, dass die Kommission rückwirkende Entscheidungen erlassen darf, wenn das zu erreichende Ziel es erfordert und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet wird. Nach Ansicht des Gerichts sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt: Die neue, rückwirkende Zulassungsentscheidung soll mehrere Ziele von allgemeinem Interesse erfüllen (nämlich der mit dem Urteil vom 13. September 2010 in der Rechtssache T-452/04 festgestellten Rechtswidrigkeit abhelfen und das rechtliche Vakuum ausfüllen, das durch die Nichtigerklärung der ersten Zulassungsentscheidung entstanden war) und verletzt weder das berechtigte Vertrauen der Personen, auf die sie sich unmittelbar bezieht, noch das von Dritten. Schließlich ist das Gericht der Ansicht, dass die Kommission, die die Situation im Jahr 2004 geprüft und ihre Schlussfolgerungen durch eine Analyse der danach eingetretenen Situation erhärtet hat, bei der Beurteilung der Bewerbung von Wendel keine Rechtsfehler oder offensichtlichen Fehler begangen hat. Wie den Akten zu entnehmen ist, handelte es sich bei Wendel, im Einklang mit den von Lagardère übernommenen Verpflichtungen, nämlich um einen leistungsfähigen und zur Aufrechterhaltung und Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem Markt fähigen Wirtschaftsteilnehmer, was die Kommission gebührend geprüft hatte. Die Kommission hat auch die mangelnde Erfahrung von Wendel im Verlagswesen nicht außer Acht gelassen. Sie hat im Gegenteil festgestellt, dass es sich bei Wendel trotz dieser mangelnden Erfahrung um einen zur Aufrechterhaltung und Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem Markt fähigen Wirtschaftsteilnehmer handelte. Schließlich hat die Kommission auch das Erfordernis der Unabhängigkeit von Wendel gegenüber Lagardère beachtet. Wendel war nämlich vom Lagardère-Konzern unabhängig, zwischen diesen beiden Gesellschaften bestand weder eine kapitalmäßige noch eine sonstige Verbindung, und der Umstand, dass eine Person der Geschäftsleitung bzw. dem Aufsichtsrat beider Gesellschaften angehörte, war nicht geeignet, ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Wendel und Lagardère zu begründen, da sich Wendel u. a. dazu verpflichtet hatte, dass diese Person innerhalb eines Jahres nach der Zulassung ihre www.curia.europa.eu Mandate niederlegt und in der Zwischenzeit nicht an Erörterungen teilnimmt, die einen Bezug zu den Verlagstätigkeiten des Konzerns haben. HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden. HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.

Urteil vom 05.09.2014 in der Rechtssache T-471/11

Éditions Odile Jacob SAS/Kommission

 

Quelle: Pressemitteilung Gericht der Europäischen Union vom 05.09.14

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