• Datenschutzrecht

EuGH: Telekommunikationsgesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist europarechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 20.09.2022 entschieden, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind (Az. C-793/19, C-794/19). Das Gesetz verpflichtet Telekommunikationsanbieter zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Kundendaten, wie IP-Adressen, Standorten und Nutzungszeiten. Die Rechtsanwälte der Berliner Kanzlei mueller.legal hatten bereits 2015 Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht.

von Carl Christian Müller

Schriftzüge Datenschutz Vorratsdatenspeicherung Privatsphäre

Regelungen sind nicht EU-rechtskonform

Daten auf Vorrat: Kein Anlass für die Speicherung

Maßgeblicher Kritikpunkt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an der deutschen Vorratsdatenspeicherung ist der fehlende Anlass der Datenerhebung. Das Telekommunikationsgesetz sieht vor, dass ohne Unterschied die Daten aller Nutzerinnen und Nutzer durch Telekommunikations- und Internetanbieter gespeichert werden müssen - auf Vorrat sozusagen. Unabhängig davon, ob sich ein Nutzer oder eine Nutzerin durch das eigene Verhalten im Internet verdächtig gemacht hat. Gemäß dem Telekommunikationsgesetz sind verschiedene Daten für einen Zeitraum von 4 bzw. 10 Wochen für den Fall aufzubewahren, dass eine Behörde diese Daten abfragt. Zu den erhobenen Daten zählen etwa die IP-Adressen, der Standort, die Dauer der Internetnutzung, gewählte Rufnummern und andere Verbindungsdaten.

 

EuGH: Vorratsdatenspeicherung nur zum Schutz nationaler Sicherheit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält die deutsche Vorratsdatenspeicherung für europarechtswidrig. Die Vorratsdatenspeicherung sei ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte der Betroffenen und sei daher nur unter Wahrung strenger und hinreichend bestimmter Voraussetzungen möglich, erklärte der EuGH. Etwa dann, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit bestünde, könnte eine Datenerhebung wie die der Vorratsdatenspeicherung zulässig sein, betonte das oberste europäische Gericht. Der EuGH hält die Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität oder der Verhütung schwerer Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit für rechtmäßig.

 

Telekom und Spacenet klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht

Nach einer Klage von Telekom und Spacenet vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gegen die Pflicht zur Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten, hatte das BVerwG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Klärung vorgelegt (Beschluss vom 25.09.19, Az. 6 C 12.18, 6 C 13.18). Das BVerwG vertritt die Ansicht seine Entscheidung sei davon abhängig, ob durch die gesetzliche Speicherpflicht ein Eingriff in die gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation auf der Grundlage der Erlaubnisnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt ist.

 

Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung

Bereits am 18.12.2015 haben wir Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung eingereicht (Az. 1 BvR 3156/15). Bislang hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch nicht über unsere Verfassungsbeschwerde entschieden. Einen Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung hatte das BVerfG mit Beschluss vom 08.06.2016 abgelehnt und die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zurückgestellt. Am 06.07.2017 haben wir eine Verzögerungsrüge verbunden mit einem erneuten Eilantrag beim BVerfG gestellt. Welchen Einfluss die Entscheidung des EuGH auf unsere Verfassungsbeschwerde hat, bleibt abzuwarten. Seit dem 18.12.2015 ist das Telekommunikationsgesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Die Bundesnetzagentur hat 2017 die Durchsetzung der Speicherpflicht ausgesetzt.

 

Bundesinnenministerin Faesar befürwortet eine Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit ihrer Einführung umstritten. Was für Strafverfolgungsbehörden eine effektive Ermittlungstaktik ist, ist für Datenschützer ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer. Die systematische Erfassung sämtlicher Telekommunikationsdaten ermöglicht es, diverse Rückschlüsse zum Privatleben der erfassten Personen zu ziehen. Was wir googlen, mit wem wir wann und wie lange telefonieren, wo wir uns aufhalten und welche Internetdienste wir benutzen, all diese Informationen erlauben es Behörden ein Profil über uns zu erstellen. Befürwortet wird die Vorratsdatenspeicherung insbesondere von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Laut der Ministerin stellt die Speicherung auf Vorrat eine geeignete Methode dar, um Kindesmissbrauch zu bekämpfen. So würden sich mit Hilfe der erfassten Daten Missbrauchstäter im Internet einfacher identifizieren lassen. Auch Hatespeech, Cyberkriminalität und Terrorismus könnten nur mittels der Vorratsdatenspeicherung erfolgreich ermittelt werden, erklärte die SPD-Politikerin.

 

"Quick Freeze" als ausgleichender Kompromiss

Ganz anders sehen das Politikerinnen und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Die Vertreter dieser Parteien sind der Ansicht, dass der Interessen der Nutzer an effektivem Datenschutz nicht pauschal hinter die Bekämpfung von Kriminalität zurückstehen muss. Grüne und FDP halten ein "Quick Freeze"-Verfahren für den passenden Kompromiss, der die Datensicherheit und die Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Terrorismus und organisierter Kriminalität in einen angemessenen Ausgleich bringt. Das sog. "Quick Freeze" ist ein Verfahren bei dem kurzfristig die Telekommunikationsdaten eines Nutzers gespeichert werden, der unter Verdacht steht, eine schwere Straftat begangen zu haben. 

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