Das Unionsrecht untersagt u. a. die Eintragung von Marken, die ausschließlich aus einer Form bestehen, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht oder durch die Art der Ware selbst bedingt ist.
EuGH zur Eintragungsfähigkeit bestimmter Formen als Marke
von Carl Christian Müller
Peter Opsvik entwarf einen Kinderstuhl mit dem Namen „Tripp Trapp“. Dieser Stuhl besteht aus schrägen Stützstreben, an denen die Elemente des Stuhls befestigt sind, sowie aus Stützstreben und Holmen in „L“-Form, die ihm ein hohes Niveau an Originalität verleihen. 1972 brachte die Stokke-Gruppe, die u. a. aus der norwegischen Gesellschaft Stokke A/S und der niederländischen Gesellschaft Stokke Nederland BV besteht, den Stuhl Tripp Trapp auf den Markt. Peter Opsvik und die norwegische Gesellschaft Peter Opsvik A/S halten ebenfalls Urheberrechte an der fraglichen Form.
1998 meldete die Stokke A/S beim Benelux-Amt für geistiges Eigentum das äußere Erscheinungsbild des Kinderstuhls „Tripp Trapp“ als dreidimensionale Marke an. Die Marke wurde auf ihren Namen für „Stühle, insbesondere Kinderstühle“ eingetragen. Sie besteht aus der folgenden Form:
Die deutsche Hauck GmbH & Co. KG produziert und vertreibt Kinderartikel, darunter die beiden als „Alpha“ und „Beta“ bezeichneten Stühle.
Die Stokke A/S, die Stokke Nederland BV, Peter Opsvik und die Peter Opsvik A/S erhoben Klage gegen die Gesellschaft Hauck mit der Begründung, dass der Vertrieb der Stühle „Alpha“ und „Beta“ ihre Urheberrechte und die aus der angemeldeten Marke abgeleiteten Rechte verletze. Hauck erhob Widerklage insbesondere auf Ungültigerklärung der Marke. Im Jahr 2000 gab ein niederländisches Gericht der Klage von Stokke und Opsvik hinsichtlich der Verletzung der Urheberrechte statt, erklärte aber entsprechend dem Antrag von Hauck die Eintragung der Marke für ungültig.
Der mit einer Kassationsbeschwerde befasste Hoge Raad der Nederlanden (Oberstes Gericht der Niederlande) hat dem Gerichtshof Vorlagefragen zu den Gründen gestellt, aus denen die Eintragung einer aus der Form der Ware bestehenden Marke abgelehnt oder für ungültig erklärt werden kann.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Begriff „Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist“, dazu führt, dass Formen, deren wesentliche Eigenschaften der oder den gattungstypischen Funktionen der Ware innewohnen, grundsätzlich ebenfalls von der Eintragung ausgeschlossen werden müssen. Würden solche Eigenschaften nämlich einem Wirtschaftsteilnehmer vorbehalten, würde es den Konkurrenzunternehmen erschwert, ihren Waren eine Form zu geben, die für diese Waren gebrauchstauglich wäre. Zudem handelt es sich um wesentliche Eigenschaften, nach denen der Verbraucher auch bei den Waren der Mitbewerber suchen könnte, da diese Waren eine identische oder ähnliche Funktion erfüllen sollen.
Zum Eintragungshindernis bzw. Ungültigkeitsgrund der „Formen, die der Ware einen wesentlichen Wert verleihen“, führt der Gerichtshof aus, dass dieser Begriff nicht auf die Form von Waren, die einen rein künstlerischen oder dekorativen Wert haben, beschränkt sein kann, da anderenfalls die Gefahr bestünde, dass Waren nicht erfasst würden, die außer einem bedeutenden ästhetischen Element auch wesentliche funktionelle Eigenschaften haben. Die Annahme, dass die Form der Ware einen wesentlichen Wert verleiht, schließt nicht aus, dass weitere Eigenschaften der Ware ihr ebenfalls einen bedeutenden Wert verleihen können. Das Ziel, zu verhindern, dass das ausschließliche und auf Dauer angelegte Recht, das eine Marke verleiht, dazu dienen kann, andere Rechte, für die der Unionsgesetzgeber eine begrenzte Schutzdauer vorsehen wollte, zu verewigen, verlangt daher, dass die Anwendung dieses Eintragungshindernisses bzw. Ungültigkeitsgrundes nicht automatisch ausgeschlossen ist, wenn die betreffende Ware neben ihrer ästhetischen Funktion auch andere wesentliche Funktionen erfüllt. Im Übrigen ist die vermutete Wahrnehmung des Zeichens durch den Durchschnittsverbraucher kein entscheidender Faktor bei der Anwendung dieses Eintragungshindernisses, sondern kann allenfalls ein nützliches Beurteilungskriterium für die zuständige Behörde bei der Ermittlung der wesentlichen Merkmale des Zeichens bilden. Andere Beurteilungskriterien können berücksichtigt werden, wie die Art der in Rede stehenden Warenkategorie, der künstlerische Wert der fraglichen Form, ihre Andersartigkeit im Vergleich zu anderen auf dem jeweiligen Markt allgemein genutzten Formen, ein bedeutender Preisunterschied gegenüber ähnlichen Produkten oder die Ausarbeitung einer Vermarktungsstrategie, die hauptsächlich die ästhetischen Eigenschaften der jeweiligen Ware herausstreicht.
Zu der Frage, ob diese beiden Eintragungshindernisse zusammen anwendbar sind, stellt der Gerichtshof fest, dass die von der Markenrichtlinie vorgesehenen Eintragungshindernisse eigenständig sind. Somit kann, wenn auch nur eines der Kriterien erfüllt ist, das Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware oder aus der grafischen Darstellung dieser Form besteht, nicht als Marke eingetragen werden.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Quelle: Pressemitteilung Gerichtshof der Europäischen Union vom 18.09.14