• Äußerungsrecht

Landesverband der AfD darf durch den Thüringer Verfassungsschutz nicht als „Prüffall“ bezeichnet werden

Die öffentliche Äußerung des Präsidenten des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, Stephan J. Kramer, im September 2018, dass er den Landesverband der AfD als „Prüffall“ bearbeite, ist rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Weimar mit Urteil vom 11.06.2021 entschieden (Az. 8 K 1151/19 We). Es hat damit der auf Unterlassung dieser Äußerung gerichteten Klage des Landesverbandes Thüringen der Partei „Alternative für Deutschland“ stattgegeben.

von Carl Christian Müller

Aktenstapel vor Bücherschrank

VG Weimar gibt Antrag der AfD statt

Presse berichtet über AfD als „Prüffall“ 

Am 06.09.2018 hatte der Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, Stephan J. Kramer, anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2017 geäußert:

„Daher habe ich als Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in Thüringen den Landesverband der AfD in Thüringen in der hiesigen Bearbeitung bei uns im Amt mit heutiger Wirkung als Prüffall eingestuft“.

Über diese Äußerung wurde danach in der Presse berichtet. Mit seiner Klage vertritt der Landesverband der AfD die Auffassung, diese Äußerung greife in rechtswidriger Weise in sein Recht als politische Partei aus Art. 21 des Grundgesetzes (GG) ein, da es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehle.

 

Verfassungsschutz darf im „Prüffall“-Stadium nicht öffentlich informieren

Zur Urteilsbegründung hat die 8. Kammer des VG Weimar ausgeführt, dass die Klage zulässig und begründet sei. Mit der öffentlichen Äußerung habe der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in das Recht der AfD, als politische Partei gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (Art. 21 Abs. 1 GG), eingegriffen. Sie sei geeignet gewesen, die Mitwirkung der Partei an der politischen Willensbildung des Volkes und ihre Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien negativ zu beeinflussen. Für diesen Eingriff habe es einer gesetzlichen Grundlage bedurft, an der es fehle. Insbesondere könne das Recht, eine politische Partei in der Öffentlichkeit als „Prüffall“ zu bezeichnen, nicht aus dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz hergeleitet werden. Soweit dieses in §§ 5 Abs. 2 Bestimmungen über die Veröffentlichung von Informationen enthalte, setzten diese voraus, dass entweder sichere Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten vorlägen oder zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Verdacht. Das Thüringer Verfassungsschutzgesetz enthalte jedoch keine Befugnis, bereits im Stadium des sog. „Prüffalls“ zu informieren. Hierbei gehe es um Fälle, in denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen noch nicht vorlägen, sondern nur vermutet würden und deshalb erst ermittelt werden müssten. Dabei sei unstreitig, dass die Beobachtungs- und Ermittlungstätigkeit selbst auch auf dieser Stufe zulässig sei; sie habe allerdings außerhalb der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu erfolgen. Das streitgegenständliche Informationshandeln könne auch nicht auf das Thüringer Pressegesetz gestützt werden. Denn der presserechtliche Auskunftsanspruch reiche nicht weiter als das verfassungsschutzrechtliche Informationsrecht, so dass der Beklagte verfassungsschutzrechtlich zum Stillschweigen verpflichtet gewesen sei. Die Äußerungen könnten auch nicht auf das allgemeine Recht zu staatlichem Informationshandeln gestützt werden.

 

Verwaltungsgerichte zur AfD als „Prüffall“ oder „Verdachtsfall“

Das VG Weimar hat mit dem Urteil lediglich die Frage der Rechtsgrundlage für die Bekanntgabe eines „Prüffalls“ geklärt. Damit war keine rechtliche Bewertung verbunden, ob der Thüringer Landesverband der AfD als „Prüffall“ behandelt werden darf oder nicht. Seit Beginn des Jahres hatten sich die Verwaltungsgerichte bundesweit mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit die Landesverfassungsschutzbehörden bzw. der Bundesverfassungsschutz bekannt geben dürfen, ob die AfD aktuell wegen verfassungsfeindlicher oder extremistischer Tendenzen geprüft werde. Auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz bearbeitet die AfD als „Prüffall“, worüber der Innenminister Reul über Twitter informierte. Das VG Düsseldorf entschied, dass die Veröffentlichung des Prüfungsvorgehens auf Grund mangelnder Rechtsgrundlage unzulässig gewesen sei. Darüberhinaus hatte sich auch das VG Köln mit ähnlichen Fragen zu beschäftigen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD als „Verdachtsfall“ eingestuft und u.a. die Presse darüber informiert. 

 

Klage der AfD-Landtagsabgeordneten abgewiesen

Eine weitere Klage einzelner Landtagsabgeordneter sowie der Landtagsfraktion der AfD wies das VG Weimar als unzulässig ab, weil den Klägern die Klagebefugnis fehle. Sie seien in der streitigen Äußerung (AfD als „Prüffall“) nicht namentlich genannt und damit nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar von der Äußerung berührt (Az. 8 K 498/20).

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des VG Weimar vom 12. Juli 2021

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