Was heißt das nun auf Deutsch?
Was eine Internettauschbörse ist, werden viele wissen: ein Nutzer stellt anderen Nutzern über das Internet eine Auswahl seiner Dateien zur Verfügung (= Filesharing) und erhält im Gegenzug die Möglichkeit, auf Dateien anderer Teilnehmer zuzugreifen. Wenn dies illegal geschieht und Rechte Dritter verletzt werden, stellt sich für diese bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen oft das Problem, den Verantwortlichen ausfindig zu machen.
Über eine solche, schwierige Fragen der sogenannten Darlegungs- und Beweislast und sogar Fragen nach dem Umfang der Geltung von Grundrechten aufwerfende Fallkonstellation hatte das Oberlandesgericht München zu entscheiden.
Die Klägerin, eine Tonträgerherstellerin, der die ausschließlichen Verwertungsrechte an einem bestimmten Musikalbum und den dort enthaltenen elf Musiktiteln zustehen, hatte vor dem Landgericht München I gegen ein Ehepaar Schadensersatzansprüche in Höhe von mindestens 2.500,-- EUR und Ersatz ihrer Abmahnkosten in Höhe von über 1.000,-- EUR geltend gemacht, da dieses Album mit sämtlichen Titeln an einem bestimmten Tag über einen Internetanschluss, dessen Inhaber die beklagten Eheleute sind, mittels einer Filesharing-Software im Rahmen einer Internettauschbörse ohne Zustimmung der Klägerin unberechtigt zum Herunterladen angeboten worden war. Das Vorbringen der Beklagten, sie hätten drei Kinder und diese hätten Zugang zu dem Internetanschluss gehabt, bestritt die Klägerin.
Die Beklagten hatten zu ihrem Antrag auf Klageabweisung vorgetragen, sie selbst hätten zur fraglichen Zeit einen gemeinsamen, normalerweise im Wohnzimmer stehenden Rechner besessen. Sie hätten mit ihren drei damals bereits volljährigen Kindern zusammen gewohnt, die jeweils eigene Rechner gehabt hätten. Mit einem Router der Telekom hätten sie einen drahtlosen Internetzugang betrieben, der durch ein auch den Kindern bekanntes Passwort gesichert gewesen sei. Die Verletzungshandlung sei von einem ihrer Kinder vorgenommen worden; sie wüssten zwar, welches Kind dafür verantwortlich sei, wollten dieses jedoch nicht benennen.
Mit Urteil vom 01.07.2015 (Gz.: 37 O 5394/14) hatte das Landgericht die Beklagten dazu verurteilt, an die Klägerin 3.544,40 EUR nebst Zinsen zu bezahlen.
Das Oberlandesgericht bestätigte nun das landgerichtliche Urteil und wies die Berufung des beklagten Ehepaares insoweit zurück. Es sah das Ehepaar als Täter der begangenen Rechtsverletzung gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) an.
In seinem Urteil stellte das Oberlandesgericht zunächst die für den Nachweis der Täterschaft in Filesharing-Fällen in der Rechtsprechung gelten Grundsätze dar:
- Grundsätzlich ist es danach Sache des Anspruchstellers, nachzuweisen, dass der von ihm auf Schadensersatz in Anspruch Genommene für die behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist. Wenn allerdings ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder eine urheberrechtlich geschützte Leistung der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers. Halten mehrere Personen, etwa - wie im Streitfall - Eheleute, den Internetanschluss mit der betreffenden IP-Adresse gemeinsam, so gilt die Vermutung zulasten aller Anschlussmitinhaber. Eine tatsächliche Vermutung begründet einen sogenannten Anscheinsbeweis, zu dessen Erschütterung nicht allein der Hinweis auf die Möglichkeit eines anderen Verlaufs genügt; es müssen vielmehr besondere, gegebenenfalls vom Anspruchsgegner - hier dem Anschlussinhaber - nachzuweisende Umstände hinzukommen, aus denen sich die ernste Möglichkeit eines anderen als des vermuteten Verlaufs ergeben soll.
- Voraussetzung für das Eingreifen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ist allerdings nicht nur das Vorliegen einer Verletzungshandlung, die von diesem Internetanschluss ausging, sondern - im Falle der hinreichenden Sicherung des Anschlusses - auch, dass der Anschluss nicht bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. Will sich der Anspruchsteller auf die tatsächliche Vermutung stützen, so obliegt es grundsätzlich ihm, deren Voraussetzungen darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. Beweisbedürftig werden die entsprechenden Darlegungen des Anspruchstellers jedoch nur, wenn der Anschlussinhaber sie nicht nur pauschal bestreitet, sondern ihnen mit konkreten Angaben entgegentritt. Dieser sogenannten sekundären Darlegungslast genügt der Anschlussinhaber nur dann, wenn er vorträgt, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen; in diesem Umfang ist er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Anschlussinhabers lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht. Entspricht der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache des Anspruchstellers, die für eine Haftung des Anschlussinhabers als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen. Entspricht der Anschlussinhaber dagegen seiner sekundären Darlegungslast nicht, so ist zugunsten des Anspruchstellers dessen Vorbringen zugrunde zu legen.
- Sekundäre Darlegungslast und tatsächliche Vermutung stehen daher, so das Oberlandesgericht, nicht einander ausschließend nebeneinander, sondern greifen wie folgt ineinander: Die sekundäre Darlegungslast betrifft die der Feststellung der Täterschaft vorgelagerte Frage, ob die Voraussetzungen für die tatsächliche Vermutung vorliegen, der Anschlussinhaber sei der Täter. Erst wenn der Anschlussinhaber dieser sekundären Darlegungslast genügt, trifft den Anspruchsteller die Last der dann erforderlichen Beweise; genügt der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast dagegen nicht, so muss er zur Widerlegung der dann für den Anspruchsteller streitenden tatsächlichen Vermutung den Gegenbeweis erbringen.
Nach diesen Grundsätzen, so das Oberlandesgericht, sei das Landgericht in dem nun entschiedenen Fall zu Recht von der Täterschaft der Beklagten ausgegangen.
Die Beklagten hätten die Anforderungen der sie insoweit treffenden sekundären Darlegungslast nicht erfüllt. Ihnen habe es oblegen mitzuteilen, welche Kenntnisse sie über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hatten, nach ihrem eigenen Vorbringen also, welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hatte. Sie hätten sich indes geweigert, diese Kenntnis mitzuteilen. Damit hätten sie sich lediglich pauschal auf eine bloß generell bestehende Zugriffsmöglichkeit ihrer drei Kinder auf den Internetanschluss berufen, ohne konkrete Angaben zur Verletzungshandlung zu machen. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe die Grundrechtsverbürgung des Art. 6 Abs.1 GG, nach der Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, dieser zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen. Denn Art. 6 Abs.1 GG gewähre keinen schrankenlosen Schutz gegen jede Art von Beeinträchtigung familiärer Belange; vielmehr seien auch die gegenläufigen Belange der Klägerin, deren Ansprüche ihrerseits den Schutz der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG genießen würden, zu berücksichtigen. Diesen komme im Streitfall ein Gewicht zu, das es rechtfertige, dass sich die Beklagten im Einzelnen dazu erklären müssen, wie es zu den - unstreitig über ihren Internetanschluss erfolgten - Rechtsverletzungen aus der Familie heraus gekommen sei; andernfalls könnten die Inhaber urheberrechtlich geschützter Nutzungsrechte bei Rechtsverletzungen vermittels von Familien genutzter Internetanschlüsse ihre Ansprüche regelmäßig nicht durchsetzen.
Da die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast zum Zugriff Dritter auf ihren Internetanschluss nicht nachgekommen seien, sei von der tatsächlichen Vermutung auszugehen, dass die Beklagten als Inhaber des Anschlusses die Täter der Rechtsverletzung seien. Diese tatsächliche Vermutung hätten die Beklagten nicht erschüttert. Sie haben sich zwar darauf berufen, dass auch ihre Kinder zum Zeitpunkt der rechtsverletzenden Handlung Zugriff auf den Internetanschluss gehabt hätten, und diese zum Beweis dafür benannt. Sie seien jedoch beweisfällig geblieben, weil sich die als Zeugen benannten Kinder auf ihr ihnen jeweils gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen haben.
Das Oberlandesgericht hat, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat, die Revision gegen seine Entscheidung zum Bundesgerichtshof zugelassen. Dies deshalb, da die Rechtsfrage, durch welche Angaben ein Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast nachkommen kann, über den Streitfall hinaus für eine Vielzahl von Filesharing-Fällen Bedeutung hat.
Das Geschäftszeichen des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München lautet 29 U 2593/15.
Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichtes München vom 14.01.2016