Ein Inselstaat droht unterzugehen und die Weltgemeinschaft muss handeln. Mit einem lange erwarteten Gutachten hat der Internationale Gerichtshof (IGH) nun klargestellt: Klimaschutz ist keine bloße politische Absicht, sondern eine völkerrechtlich verbindliche Pflicht aller Staaten. Und: Wer dagegen verstößt, kann künftig haftbar gemacht werden – bis hin zu Schadensersatz.
„Recht auf saubere Umwelt“: IGH setzt neuen Maßstab für Klimaschutz im Völkerrecht
von Olivia Wykretowicz

Wegweisende Impulse für staatliches Handeln
Die Beratende Stellungnahme des IGH, die auf Initiative des vom Klimawandel besonders betroffenen Inselstaats Vanuatu zustande kam, könnte ein Wendepunkt im internationalen Umweltrecht sein. Sie bekräftigt nicht nur die rechtliche Relevanz bestehender Klimaabkommen, sondern erkennt erstmals das Recht auf eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ als Menschenrecht an.
Zentrale Botschaft des Gutachtens: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Diese Pflicht ergibt sich nicht nur aus internationalen Abkommen wie dem Pariser Klimaabkommen oder der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), sondern auch aus menschenrechtlichen und gewohnheitsrechtlichen Normen. Der IGH macht deutlich: Der Schutz des Klimas ist Voraussetzung für grundlegende Menschenrechte, etwa das Recht auf Leben, Gesundheit und einen angemessenen Lebensstandard.
Auch das 1,5-Grad-Ziel wurde juristisch gestärkt. Der IGH verweist dabei ausdrücklich auf den aktuellen Stand der Klimawissenschaft. Staaten müssen demnach konkrete Maßnahmen ergreifen, um die globale Erderwärmung zu begrenzen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Möglichkeiten.
Globale Verantwortung – auch über Grenzen hinaus
Das Gutachten betont die grenzüberschreitende Dimension des Klimaschutzes. Staaten dürfen nicht nur auf nationaler Ebene handeln, sondern müssen auch dafür Sorge tragen, dass ihre Emissionen keine schädlichen Auswirkungen in anderen Ländern entfalten. Besonders betroffen sind kleine Inselstaaten wie Tuvalu oder Vanuatu, deren Überleben durch den Anstieg des Meeresspiegels akut bedroht ist.
Erstmals wurde dabei auch klargestellt: Staaten, die ihre Klimaschutzpflichten verletzen, handeln völkerrechtswidrig und können zur Rechenschaft gezogen werden. Im Ergebnis könnten betroffene Länder künftig Schadensersatz verlangen, etwa für zerstörte Infrastruktur oder Umsiedlungskosten.
Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe mit rechtlichen Folgen
Der IGH unterstreicht die Pflicht zur internationalen Zusammenarbeit, etwa durch Informationsaustausch, Technologietransfer oder gemeinsame Maßnahmen zur Emissionsminderung. Auch Umweltgrundsätze wie das Vorsorgeprinzip oder das Verbot grenzüberschreitender erheblicher Umweltschäden wurden bekräftigt. Solche Pflichten gelten „erga omnes“ – also gegenüber allen Staaten – und können auch entsprechend eingeklagt werden.
Bedeutung für Politik und Justiz
Das Gutachten ist rechtlich zwar nicht bindend, aber von großer Autorität. Es könnte Einfluss auf nationale Gerichte und internationale Klimaverfahren haben, wie beispielsweise beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. Dort wurde bislang kein eigenes Grundrecht auf eine saubere Umwelt anerkannt. Die neue völkerrechtliche Klarheit dürfte künftig jedoch stärker in die verfassungsrechtliche Auslegung einfließen.
Rechtliche Zeitenwende für den Klimaschutz
Mit seinem Gutachten hat der IGH eine neue Grundlage für die internationale Klimarechtsordnung geschaffen. Der Klimawandel wird nicht länger nur als politische Herausforderung verstanden, sondern als rechtlich relevantes Unrecht, das konkrete Folgen haben kann. Die Entscheidung stärkt die Position betroffener Staaten und erhöht den rechtlichen Druck auf emissionsstarke Länder weltweit. Klimaschutz wird zur durchsetzbaren Verpflichtung. Ein Meilenstein für das Völkerrecht und ein Schritt hin zu mehr Umweltgerechtigkeit.