Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat mit seinem heute verkündeten Urteil entschieden, dass der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen die Rechte des thüringischen Landesverbands der NPD auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt hat.
Thüringer VerfGH : Organklage der NPD erfolgreich
von Carl Christian Müller
In einem Interview für den MDR Thüringen im Juni 2015 hatte der Ministerpräsident u.a. geäußert: „Ich appelliere an alle demokratischen Parteien und ihre Vertreter, dass es wirklich keine Gemeinsamkeiten auf der Basis von NPD-Anträgen geben darf“ und „Die Nazis werden damit aufgewertet“.
Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zugrunde:
Als nicht verbotene Partei kann die NPD sich auf das aus Art. 21 GG folgen-de Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien berufen. Aus diesem Recht folgt ein an die Adresse des Staats gerichtetes Neutralitätsgebot für den allgemeinen politischen Wettbewerb. Das Neutralitätsgebot gilt nur für amtliche Tätigkeiten von Amtsinhabern, nicht aber bei ihrem Tätigwerden als Privatperson oder als Parteipolitiker.
Dem Neutralitätsgebot unterliegen auch die hier angegriffenen Äußerungen des Ministerpräsidenten, da sie ihm als amtliche Äußerungen in seiner Funktion als Ministerpräsident zuzurechnen sind. Ausschlaggebend für eine Qualifizierung als amtliche Äußerung ist die Nutzung staatlicher Ressourcen durch die Verlinkung des Interviews auf dem Twitter-Account der Thüringer Staatskanzlei und auf der Facebook-Seite des Freistaats Thüringen.
Durch seinen an andere Parteien gerichteten Appell, NPD-Anträge nicht mit-zutragen, hat der Ministerpräsident parteiergreifend zulasten der NPD in den allgemeinen politischen Wettbewerb eingegriffen und damit das Neutralitäts-gebot verletzt. Der Appell war daher unzulässig. Das gilt auch für die Bezeichnung als „Nazis“, die hier zur Begründung des unzulässigen Appells dient. Nicht zu entscheiden war, ob die Bezeichnung als „Nazis“ als negatives Werturteil generell unzulässig ist.
Die Entscheidung ist mit acht zu eins Stimmen ergangen. Das Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshof Petermann hat ein Sondervotum abgegeben.
Quelle: Pressemittelung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 08.06.2016