• Äußerungsrecht

Tweets von Ministerpräsident Weil zur NPD sind verfassungskonform

Mit Antrag vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof (StGH) begehrte der NPD-Landesverband die gerichtliche Feststellung, dass die kritischen Tweets des Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) die NPD in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beeinträchtige. Dieser Auffassung folgte der StGH Bückeburg nicht und hielt die Aussagen von Weil auf Twitter für rechtmäßig (Az.: StGH 6/19).

von Carl Christian Müller

Zeichnung Menschen und Technik

StGH Bückeburg entscheidet im Organstreitverfahren zur Chancengleichheit von Parteien

Ministerpräsident Weil: "Wichtig ist, dass sich viele [...] der Rechten Hetze entgegenstellen"

Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen hatte auf seinem Twitter-Account @MpStephanWeil am 20. und am 23.11.2019 aus Anlass einer Versammlung am 23.11. zu dem Thema "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze – Feldmann in die Schranken weisen!" insgesamt 9 Tweets gepostet. Die Demonstration der NPD in Hannover richtete sich gegen Journalistinnen und Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien, die über Rechtsextremismus berichten, insbesondere Panorama-Reporter Julian Feldmann stand bei der Versammlung im Visier. Nachdem die Demonstration zunächst von dem Verwaltungsgericht Hannover einen Tag vor dem geplanten Veranstaltungstag verboten worden war (Az. 10 B 5450/19), hob das Oberverwaltungsgericht Lüneburg am gleichen Tag das Verbot wieder auf (Az. 11 ME 376/19). Der NPD-Landesverband sah sich indessen durch 5 Tweets des Ministerpräsidenten Weil in seinem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt:

Tweets vom 20.11.2019

"Viel perfider geht es nicht mehr: Die rechtsextreme NPD will am kommenden Wochenende in #Hannover unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit gegen die ebenfalls verfassungsrechtlich garantierte #Pressefreiheit demonstrieren… #Demokratie #gegenrechts"

"Wichtig ist, dass sich viele #Bürgerinnen und #Bürger der rechten Hetze entgegenstellen und nicht zulassen, dass kritische #Journalistinnen und #Journalisten eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen."

Tweets vom 23.11.2019

"Es ist für mich, wie wohl für viele andere, nicht leicht zu verdauen, dass das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die NPD-Demo in #Hannover erlaubt hat. … #demokratie #pressefreiheit #buntstattbraun"

"Ich hoffe, dass diejenigen, die für kritischen #Journalismus, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für die #Pressefreiheit heute unter dem Motto „bunt statt braun“ friedlich auf die Straße gehen werden: Wir sind mehr! … #H2311 #wirsindmehr"

"Die #Landesregierung wird mit Innenminister @borispistorius dabei sein. Danke allen, die heute ein klares Zeichen für unsere wehrhafte Demokratie setzen werden“ #schütztdiepressefreiheit #wehrhaftedemokratie"

 

Landesregierung ist zur Neutralität und Sachlichkeit verpflichtet

Der auch in Niedersachsen als unmittelbares Verfassungsrecht geltende und damit zu den Prüfungsmaßstäben des Staatsgerichtshofs zählende Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht aller auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen wirkenden Regierungs- und Oppositionsparteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit. Im Rahmen der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung gelten daher ihnen gegenüber grundsätzlich das Neutralitäts- und das Sachlichkeitsgebot. Dass das Bundesverfassungsgericht als Ergebnis des zweiten NPD-Verbotsverfahrens die NPD zwar nicht verboten, aber festgestellt hat, dass sie mit ihren Zielen die Grundprinzipien missachtet, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind, hindert sie nicht daran, sich auf den Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG berufen zu können. Der verfassungsändernde Gesetzgeber von 2017 hat sich darauf beschränkt, die Finanzierung verfassungsfeindlicher Parteien zu begrenzen. Im Übrigen gilt daher der Grundsatz fort, dass die verfassungsfeindliche Partei zwar politisch bekämpft werden darf, aber auch sie in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein soll.

 

StGH Bückeburg: Engagement für Pressefreiheit rechtfertigt Tweets

Die Äußerungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten in den streitgegenständlichen Tweets über sein Profil@MpStephanWeil erfolgten in Ausübung seines Amtes. Amtsautorität wird auch bei Aktivitäten von Regierungsmitgliedern in sozialen Netzwerken oder beim Einsatz von Mikrobloggingdiensten in Anspruch genommen, wenn diese Aktivitäten unter Nutzeradressen stattfinden, die auf das Amt hinweisen. Außerdem stellen die Tweets einen Eingriff in das Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb dar. Sie bezweckten nämlich, dass Leserinnen und Leser entweder der Demonstration der NPD fernblieben oder sich der Gegendemonstration anschlossen. Der Antragsgegner, also der Ministerpräsident, kann seinen Eingriff aber damit rechtfertigen, dass er von einer ihm als Teil des Verfassungsorgans „Landesregierung“ zustehenden Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch gemacht hat. Er setzte sich im Zusammenhang mit einem konkreten Angriff einer als verfassungsfeindlich festgestellten Partei für einen unverzichtbaren Grundpfeiler der Demokratie, nämlich der Institution „Freie Presse“, der Pressefreiheit und dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten, ein. Es gehört zu den Amtspflichten des Ministerpräsidenten sich schützend vor die freiheitlich demokratische Grundordnung und ihrer Institutionen zustellen und die Bevölkerung für demokratiegefährdende Entwicklungen zu sensibilisieren sowie das bürgerschaftliche Engagement hiergegen zu stärken. Seine Neutralitätspflicht ist insoweit eingeschränkt.

Anders hatte zuletzt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Fall der AfD gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) entschieden. Seehofer hatte auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums ein dpa-Interview veröffentlicht, in dem sich der Politiker kritisch zur AfD äußerte. Das BVerfG sah darin eine Verletzung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. Alle Details zu diesem Urteil können Sie hier nachlesen.

 

Quelle: Pressemitteilung des StGH Bückeburg vom 24. November 2020

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