• Äußerungsrecht

Veröffentlichung von Tagebuchzitaten eines Cum-Ex-Bankers rechtmäßig

Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt worden sind, keine "amtlichen Dokumente" des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB darstellen. Er hat das gegenüber einem Presseverlag ausgesprochene Verbot der wörtlichen Wiedergabe von Tagebuchauszügen aufgehoben.

von Carl Christian Müller

Richter am Richtertisch

Sueddeutsche zitierte aus Tagebuch

Der Kläger ist Bankier. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Im Jahr 2018 wurden die Tagebücher des Klägers im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beschlagnahmt.

Die Beklagte veröffentlichte auf der von ihr betriebenen Internetseite www.sueddeutsche.de am 4. September 2020 unter der Überschrift "Notizen aus der feinen Gesellschaft" einen Artikel, der sich mit einer möglichen Einflussnahme der Hamburger Politik auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuerrückforderungen nach Cum-Ex-Geschäften beschäftigt. Die Beklagte zitierte in diesem Artikel wörtlich aus den Tagebüchern, deren Inhalt ihr nach der Beschlagnahme bekannt geworden ist. Die Instanzgerichte verboten die Veröffentlichung. Die Beklagte legte Revision ein.

 

BGH vernein Anspruch auf Unterlassung

Der Bundesgerichtshof hat nun der Revision stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe der beanstandeten Textpassagen aus seinen Tagebüchern gemäß den entsprechenden Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Strafgesetzbuches (StGB). Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Normengefüges ist es aus haftungsrechtlicher Sicht nicht vertretbar, den zivilrechtlichen Schutz von Rechtsgütern so vorzuverlagern, dass die deliktische Haftung unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung des Schutzguts und losgelöst von einer einzelfallbezogenen Abwägung mit den gegenläufigen Rechten Dritter gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK an die abstrakte Gefahr der Bloßstellung eines Betroffenen geknüpft wird.

 

Tagebücher gelten nicht als amtliche Dokumente des Strafverfahren

Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen des § 353d Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) nicht erfüllt. Die privaten Tagebuchaufzeichnungen des Klägers, die aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurden, gelten nicht als "amtliche Dokumente" des Strafverfahren. Im Hinblick auf die Garantien von rt. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG ist eine weite Auslegung des Begriffs unzulässig.

 

Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt

Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 1004 Absatz 1 Satz 2 BGB und § 823 Absatz 1 BGB. Obwohl die wortgetreue Wiedergabe von Auszügen aus den Tagebüchern des Klägers sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Bezug auf die Vertraulichkeitssphäre und den sozialen Geltungsanspruch berührt, ist die Beeinträchtigung nicht rechtswidrig. Dies liegt daran, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit, die von der Beklagten verfolgt werden, in diesem Fall das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit deutlich überwiegen. Die wörtlichen Zitate haben einen besonderen Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung über die Vorgänge, die bis in die höchsten politischen Kreise reichen.

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