Abmahnwelle
gegen Redtube-Nutzer

Anfang Dezember 2013 hat die Kanzlei U + C Rechtsanwälte URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH der Firma The Archive AG im großen Stil Abmahnungen an vermeintliche Nutzer der Internet-Plattform Redtube wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen versendet. Damit wurde von der Kanzlei U + C gegenüber juristischen Laien in rechtlich unzutreffender Weise, aber gleichwohl apodiktisch eine rechtswidrige Vervielfältigungshandlung behauptet, gegen die wir vorgegangen sind.

Wir reichen Strafanzeige gegen gegen Thomas Urmann wegen Streaming-Abmahnungen ein

Wir haben bei der Staatsanwaltschaft Hamburg Strafanzeige gegen den Geschäftsführer der Kanzlei U + C Rechtsanwälte URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Herrn Rechtsanwalt Thomas Urmann, wegen des Verdachts einer Straftat, nämlich der besonders schweren Erpressung oder des besonders schweren Betruges, eingereicht. Derartige Vergehen werden mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Anlass unseres Vorgehens

Die Kanzlei U + C Rechtsanwälte URMANN + COLLEGEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH versendete Anfang Dezember 2013  im Auftrag der in der Schweiz ansässigen Firma The Archive AG im großen Stil Abmahnungen an vermeintliche Nutzer der Internet-Plattform Redtube wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen.

Die Urheberrechtsverletzung soll dadurch begangen worden sein, dass die Nutzer einen über Redtube angebotenen Stream abgerufen haben sollen. Die Kanzlei behauptet insoweit, die beim Abrufen des Streams erforderliche Zwischenspeicherung stelle eine urheberrechtliche Vervielfältigungshandlung nach § 16 UrhG dar, die ohne Zustimmung der Rechteinhaberin erfolgt und deshalb rechtswidrig sei.

Worum ging es?

Damit wird von der Kanzlei U + C gegenüber juristischen Laien in rechtlich unzutreffender Weise aber gleichwohl apodiktisch eine rechtswidrige Vervielfältigungshandlung behauptet. Mit der Abmahnung wird ein Sachverhalt vorgetragen, in dem keine Urheberrechtsverletzung zu sehen ist, da der Abruf eines Streams über die Plattform Redtube jedenfalls nach § 53 Abs. 1 UrhG zulässig ist. Thomas Urmann behauptet jedoch gegenüber Verbrauchern auf anwaltlichem Briefpapier das Gegenteil. Er droht diesen u. a. damit, weitere staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, einstweilige Verfügungen zu beantragen und den Sachverhalt unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Wenn juristische Laien durch Behauptungen und Androhungen eines mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege ausgestatteten Rechtsanwaltes veranlasst werden sollen, von diesem geltend gemachte Ansprüche zu erfüllen, die nicht bestehen, ist das nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung strafbar.

Auswirkungen der Abmahnungen

Gemäß der Pressestelle des Landgerichts (LG) Köln stellte die Schweizer Firma vor dem Versand insgesamt 89 Drittauskunftsanträge gemäß § 101 Abs. 2 i.V.m. 9 UrhG. Diese Anträge zielten darauf ab, dass Internetprovider die Nutzerdaten herausgeben sollten. Insgesamt beschäftigten sich 16 verschiedene Zivilkammern mit diesen Anträgen, die jeweils zwischen 400 und 1.000 IP-Adressen enthielten. Von den Anträgen wurden 27 abgelehnt oder aufgrund einer Mitteilung der Kammer von der antragstellenden Firma zurückgezogen. Wenn man von einem Durchschnittswert von 700 IP-Adressen für die 62 genehmigten Anträge ausgeht, könnte die Anzahl der erteilten Auskünfte im mittleren fünfstelligen Bereich liegen.

Eine neue Situation

Die Sensationswirkung der Abmahnwelle ergibt sich auch daraus, dass es die ersten Abmahnungen wegen des Streamens geschützter Werke sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Massenabmahner, die unter den neuen gesetzlichen Beschränkungen und rückläufigen Rechtsverletzungen leiden, versuchen würden, diesen Bereich für sich zu nutzen. Aufgrund der massenhaften Abmahnungen hat das Tauschen über Peer-to-Peer-Netzwerke für die Nutzer an Attraktivität verloren. Zudem stellt das Streamen angesichts immer schnellerer Internetverbindungen eine technisch interessante Alternative dar.

Abmahnungen unwirksam?

Es besteht erhebliche Unsicherheit darüber, ob das Streamen als rechtswidrige Vervielfältigungshandlung betrachtet werden kann und somit eine abmahnfähige Urheberrechtsverletzung darstellt. Dies liegt daran, dass es starke Argumente dafür gibt, dass die Zwischenspeicherung gemäß § 44a UrhG erlaubt ist. Bisher gab es jedoch keine gerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage, und sie wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert.

Selbst wenn man das Streamen jedoch als zustimmungsbedürftige Vervielfältigungshandlung einordnen würde, könnte sie möglicherweise gemäß § 53 Abs. 1 UrhG privilegiert sein. Gemäß dieser Bestimmung ist es erlaubt, eine Kopie eines urheberrechtlich geschützten Werkes anzufertigen, sofern dies nicht für gewerbliche oder öffentliche Nutzungszwecke geschieht und der Nutzer nicht erkennen kann, dass eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wurde.

Wer trägt die Verantwortung für hochgeladene Filme?

Im Fall von Redtube trifft jedoch Letzteres nicht zu. Im Gegensatz zu Plattformen wie YouTube ist es hier nicht möglich, dass Nutzer sich einfach registrieren und Beiträge hochladen. Die Veröffentlichung der Filme liegt allein beim Portalbetreiber, der in diesem Fall ein Unternehmen ist, das im Bereich der Internet-Pornografie bekannt ist. Der Nutzer kann daher grundsätzlich davon ausgehen, dass zumindest der Portalbetreiber die erforderlichen Rechte an den Filmen erworben hat. Dies ist tatsächlich oft der Fall, da viele Produzenten einige ihrer Videos aus Werbezwecken auf Plattformen wie Redtube zur Verfügung stellen. Für den Nutzer ist es absolut nicht erkennbar, ob ein bestimmtes Video mit oder ohne Zustimmung des Produzenten auf die Plattform gelangt ist. Daher ist äußerst fraglich, ob die Abmahnungen überhaupt gerechtfertigt sind.

Landgericht Köln – Nicht so genau hingeschaut

In den bisher im Internet veröffentlichten oder diskutierten Beschlüssen des Landgerichts Köln wird tatsächlich nicht ausdrücklich auf die Frage eingegangen, ob das Streamen eine offensichtliche Rechtsverletzung darstellt. In einem der betroffenen Beschlüsse heißt es jedoch knapp: "... durch das unbefugte öffentliche Zugänglichmachen des geschützten Werkes ... über eine Tauschbörse liegt zudem eine Rechtsverletzung i.S.v. § 19a UrhG vor." Die Richter gehen also offensichtlich von einer Rechtsverletzung über eine Tauschbörse aus. Es wurde jedoch kein solcher Fall in dem genannten Beschluss behandelt, der übrigens nicht von der Kanzlei U + C, sondern von Rechtsanwalt Daniel Sebastian eingereicht wurde. Stattdessen ist dort die Rede von Download-Portalen.

Es scheint also eine Diskrepanz zwischen den genannten Beschlüssen des Landgerichts Köln und den tatsächlichen Inhalten der Anträge zu geben.

Nahezu jede Kammer muss mal ran

Obwohl die kürzlich enthüllten Antragsschriften in Bezug auf Form und Inhalt denjenigen ähneln, die in Filesharing-Fällen verwendet werden, hätten die Richter genauer prüfen müssen. Es wäre äußerst bedenklich, falls in den kommenden Tagen und Wochen weitere ähnliche Beschlüsse ans Licht kämen. Dies würde zweifellos einen Skandal darstellen. Doch wie konnte es überhaupt zu dieser Situation kommen?

Gemäß dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Köln wurden zwei spezielle Kammern für Urheberrechtsangelegenheiten eingerichtet. Allerdings sind die Auskunftsverfahren gemäß § 101 UrhG von dieser Regelung ausgenommen. Gemäß dem Geschäftsverteilungsplan sind 28 der insgesamt 40 eingerichteten Zivilkammern im sogenannten Turnusverfahren U für diese Verfahren zuständig. Dabei wechselt die Zuständigkeit wöchentlich, sodass jede der 28 Kammern etwa fünfmal im Jahr mit der Bearbeitung solcher Auskunftsanträge befasst ist.

Es ist offensichtlich, dass diese Arbeit, die auch Wochenenddienste beinhaltet, nicht jedem Richter Freude bereitet und nicht jeder mit der rechtlich und technisch komplexen Spezialmaterie vertraut ist. Wenn man zudem nur wenige Male im Jahr damit zu tun hat, ist es verständlich, dass Fehler passieren können. Dennoch wird durch diese Situation die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, nämlich durch die Zustimmung des Richters sicherzustellen, dass eine gründliche Prüfung und Abwägung der Interessen der Betroffenen erfolgt, untergraben.

Während des Gesetzgebungsverfahrens war der in § 101 Abs. 9 UrhG vorgesehene Richtervorbehalt umstritten. Insbesondere der Bundesrat führte die Belastung der Justiz durch diese Massenverfahren als Gegenargument an. Dennoch setzte sich der Entwurf der Bundesregierung durch. Daher ergibt sich auch der Grund für die Verteilung der Verfahren auf den Großteil der Kammern am Landgericht Köln: Als Gericht, das für die Deutsche Telekom zuständig ist, hatte es seit der Einführung des Gestattungsverfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG einfach zu viele Anträge zu bewältigen. Sollte jedoch die Vermutung zutreffen, dass eine Reihe weiterer Gestattungsbeschlüsse aufgrund unzureichender Prüfung fälschlicherweise angenommen wurden, es handle sich um einen Filesharing-Fall, dann würde der vom Gesetzgeber vorgesehene Richtervorbehalt für das Anordnungsverfahren faktisch wirkungslos.

Die undurchsichtige Quelle der IP-Adressen im Redtube-Fall

Eine ebenso interessante Frage ist derzeit, wie die abmahnende Rechteinhaberin Zugriff auf die den Auskunftsanträgen zugrunde liegenden IP-Adressen erhalten hat. Die bisher veröffentlichten Antragsschriften geben hierzu nur vage Informationen. Dort wird eine Überwachungssoftware namens GLADII 1.1.3. erwähnt, mit der angeblich die Aktivitäten von Nutzern von Download-Portalen für Filme im Internet überwacht werden können. Es wird jedoch nicht im Antrag selbst erläutert, wie diese Software genau funktioniert. Informationen darüber sollen angeblich in einem Gutachten der Patentanwaltskanzlei Diehl & Partner enthalten sein, das dem Antrag beigefügt ist. Das Landgericht Köln weigert sich jedoch, das Gutachten herauszugeben, und gewährt keinen Einblick in dessen Inhalt, weder der Presse noch anderen Dritten.

Allerdings gab der Pressesprecher erste Informationen über den Inhalt des Gutachtens. Demnach sollte mit dem Gutachten festgestellt werden, ob die im Auftrag der Rechteinhaberin eingesetzte Überwachungssoftware korrekt Download-Aktionen auf im Internet betriebenen Medien-Hostern erfassen kann. Insbesondere sollten dabei die Identität der heruntergeladenen Datei, der Beginn des Downloads und die IP-Adresse des herunterladenden Computers überprüft werden. Dies wurde anhand von drei Testdateien auf drei verschiedenen Webseiten (drtuber, tnaflix und xvideos) durchgeführt, bei denen die Videos im Webbrowser angezeigt wurden.

Laut dem Gutachten soll der Gutachter die hinterlegten Testdateien mit verschiedenen Browsern abgerufen und die Uhrzeit protokolliert haben. Anschließend hat der Gutachter über die Software GLADII 1.1.3 eine Übersicht der überwachten Medien-Hoster aufgerufen. Die Software soll eine Reihe von Informationen, einschließlich der IP-Adressen der Besucher der jeweiligen Seite, angezeigt haben. Dabei wurden auch die testweise durchgeführten Abrufe der oben genannten Dateien angezeigt. Die protokollierten Zeiten und Aktionen sollen laut dem Gutachten genau mit den testweise durchgeführten Abrufen übereingestimmt haben. Nach der Zusammenfassung des Gutachtens durch das Landgericht Köln beruhten die während der Tests durchgeführten Aktionen "technisch auf üblichen Internet-Technologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaiger Gesetzesverstöße erkennen ließen".

Gutachten könnte Klärung technischer Fragen bringen

Die genaue Vorgehensweise von GLADII 1.1.3 bei der Erlangung der IP-Adressen der Nutzer bleibt trotz der oben genannten Informationen unklar. Im Gegensatz zum Filesharing besteht beim Streaming in der Regel nur eine direkte Verbindung zwischen dem Nutzercomputer und dem Videoportalserver. Normalerweise können Dritte, wie Rechteinhaber oder ihre Anwälte, keine Daten über diese Verbindung abrufen. Eine Freigabe des Gutachtens durch das Landgericht Köln könnte möglicherweise Klarheit darüber bringen. Die Weigerung des Gerichts in diesem Punkt ist schwer nachvollziehbar, insbesondere angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses und der Tatsache, dass solche Gutachten normalerweise keine personenbezogenen Daten Dritter enthalten, die einer Veröffentlichung entgegenstehen.

Es ist jedoch auch möglich, dass das Gutachten keine klaren Informationen zur IP-Ermittlung liefert. In diesem Fall hätten sich die zuständigen Kammern, die die Gestattungsanordnungen erlassen haben, mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. In den bisher bekannten Beschlüssen scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Es wird interessant sein zu erfahren, ob die Kammern, die im Gestattungsverfahren bei der antragstellenden Rechteinhaberin Rückfragen gestellt haben, diesbezüglich weitere Untersuchungen angestellt haben. Eines ist jedoch klar: In Massenverfahren mit komplexen technischen Fragestellungen kann der Richtervorbehalt seinen Zweck verfehlen, wenn die Justiz – möglicherweise aufgrund von Personalmangel – nicht angemessen auf die Bewältigung der Verfahren vorbereitet ist.

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