Der Beschwerdeführer - ein auf Onlinerecherche und Internetpiraterie spezialisierter Polizeibeamter - wurde von Unternehmen der Musikindustrie auf Schadensersatz aufgrund von Filesharing über seinen privaten Internetzugang in Anspruch genommen.
- Urheberrecht
BVerfG zum unerlaubten Filesharing im Internet
von Carl Christian Müller
Nachdem unstreitig
geworden war, dass der volljährige Sohn der Lebensgefährtin des
Beschwerdeführers über dessen Internetzugang in einer Tauschbörse
Musikdateien zum Download angeboten hatte, nahmen die Klägerinnen ihren
Schadensersatzanspruch zurück, forderten aber weiterhin Ersatz der durch
die Abmahnung entstandenen Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht
verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß. Dieser hafte für die
durch das unerlaubte Filesharing begangene Schutzrechtsverletzung, weil
er seinen Internetzugang zur Verfügung gestellt und dadurch die
Teilnahme an der Musiktauschbörse ermöglicht habe. Vor dem Hintergrund
seiner besonderen beruflichen Kenntnisse habe für den Beschwerdeführer
jedenfalls eine Prüf- und Handlungspflicht bestanden, um der Möglichkeit
einer solchen Rechtsverletzung vorzubeugen.
Das Oberlandesgericht wies die dagegen eingelegte Berufung im
Wesentlichen zurück und begründete seine Entscheidung unter Verweisung
auf die „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs
(BGHZ 185, 330) damit, dass der Inhaber eines Internetanschlusses, der
diesen einem Dritten zur eigenverantwortlichen Nutzung überlasse, den
Dritten darüber aufklären müsse, dass die Teilnahme an Tauschbörsen
verboten sei. Die Revision gegen sein Urteil ließ das Oberlandesgericht
nicht zu.
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat das
Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten
Entscheidung zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in
seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG,
weil es nicht erkennen lässt, aus welchen Gründen die Revision zum
Bundesgerichtshof nicht zugelassen wurde, obwohl deren Zulassung im
vorliegenden Fall nahe gelegen hätte.
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung
zwingend zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
oder eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Die hier entscheidende Rechtsfrage, ob einen Internetanschlussinhaber
Prüf- und Instruktionspflichten gegenüber sonstigen Nutzern des
Anschlusses treffen, wird von den Oberlandesgerichten nicht einheitlich
beantwortet. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, dass eine
Pflicht, die Benutzung seines Internetanschlusses zu überwachen oder
gegebenenfalls zu verhindern, nur besteht, wenn der Anschlussinhaber
konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Nutzung seines
Anschlusses hat, lässt das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene
Urteil für das Entstehen einer Instruktions und Überwachungspflicht
grundsätzlich bereits die Überlassung des Anschlusses an einen Dritten,
gleich welchen Alters, genügen. Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob
und in welchem Umfang Prüfpflichten des Anschlussinhabers bestehen, für
die hier relevante Konstellation noch nicht entschieden. Die vom
Oberlandesgericht herangezogene „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung
beantwortet die Frage nicht; sie betraf einen anderen Sachverhalt,
nämlich die Frage, inwieweit ein WLAN-Anschluss gegen die Benutzung
durch außenstehende Dritte gesichert werden muss.
Obwohl eine Zulassung der Revision nahe lag, hat das Oberlandesgericht
keine nachvollziehbaren Gründe dafür angeführt, warum es die Revision
nicht zugelassen hat. Sowohl im Hinblick auf die Bedeutung der
Rechtssache als auch zur Herbeiführung einer einheitlichen
Rechtsprechung erschien aber eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs
als Revisionsgericht erforderlich. Denn die hier klärungsbedürftige
Rechtsfrage kann sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle
stellen und berührt deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts; überdies weicht das
angegriffene Urteil entscheidungserheblich von der Auffassung anderer
Oberlandesgerichte ab.
Quelle: Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht vom 13.04.2012