Das in der Öffentlichkeit hörbare Singen des sog. U-Bahn-Liedes mit dem Text "Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!" kann den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01.10.2015 beschlossen und damit das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Dortmund bestätigt.
OLG Hamm: Das Singen des sog. U-Bahn-Liedes kann den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen
von Carl Christian Müller
Die 1970 und 1973 geborenen Angeklagten aus Gottmadingen besuchten im April 2014 das Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen den FSV Mainz, aufgrund getragener Trikots als Fans des Vereins Borussia Dortmund erkennbar. Nach dem Ende des Spiels sangen sie Arm in Arm im Bereich des Vorplatzes am Nordausgang des Stadions in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans für die umstehenden Personen deutlich hörbar das sog. U-Bahn-Lied mit dem oben zitierten Text.
Aufgrund dieser Tat verurteilte sie das Amtsgericht Dortmund am 03.06.2015 wegen Volksverhetzung jeweils zu einer Geldstrafe von 5.400 Euro (90 Tagessätze zu je 60 Euro). Die von den Angeklagten gegen die Verurteilung eingelegte Sprungrevision ist erfolglos geblieben. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat die amtsgerichtliche Verurteilung bestätigt.
Das Verhalten der Angeklagten stelle eine, so der Senat, gemäß § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch strafbare Volksverhetzung dar. Die Angeklagten hätten eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise verharmlost, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.
Die Vorschrift des Völkerstrafgesetzbuches verbiete es, eine nationale, rassische, religiöse oder ethische Gruppe unter Lebensbedingungen zu stellen, die sie körperlich zerstören könne. Der gesungene Liedtext beziehe sich auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung dieser Art, er billige das Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz. Der im Liedtext besungene Startort Jerusalem stehe als Synonym für Juden. Die Verbindung von Jerusalem und Auschwitz durch die U-Bahn als direktes Transportmittel verbildliche die Transporte der Opfer des Holocaust nach Auschwitz. Nach dem Text solle die U-Bahn von den Sängern erst noch gebaut werden. Das stelle die Bezüge zur Vergangenheit in einen Kontext zu einem künftigen Geschehen, auf welches die Sänger hinwirken wollten. Unabhängig davon, dass ersichtlich nicht ernsthaft eine U-Bahn von Jerusalem nach Auschwitz gebaut werden solle, bringe der Text des Liedes symbolisch die Möglichkeit zum Ausdruck, dass eine Wiederholung der Transporte jüdischer Menschen an den Ort eines früheren Vernichtungslagers denkbar sei. Dadurch erscheine der Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden in seinem Unrechtsgehalt begrenzt, mithin nicht schwerwiegend und der Gedanke einer Wiederholung als billigenswert. Aus Sicht eines verständigen Zuhörers erscheine das als eine Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten.Es gebe keine Begleitumstände, die das Lied in einen anderen Kontext, z.B. den einer Fanrivalität, stellen könnten. Das Lied sei zwar in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans gesungen worden, sein Inhalt aber nicht an diese gerichtet gewesen, Mainz sei nicht Jerusalem und Jerusalem sei am Spiel nicht beteiligt gewesen.
Das Singen des Liedes durch die Angeklagten sei geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Insoweit genüge schon die konkrete Eignung. Bei der in der Liedform in die Öffentlichkeit getragenen "Judenhetze" bestehe ohne weiteres die Gefahr, dass die Botschaft der Angeklagten von Zuhörern, die diese billigten, weitergetragen werde, so dass das psychische Klima aufgeheizt und Unfrieden in der Bevölkerung erregt werde.
Das äußere Tatgeschehen lasse auf ein vorsätzliches Verhalten der Angeklagten schließen. Sie seien sich der Tragweite ihrer Äußerungen bewusst gewesen und hätten ihren Inhalt gewollt.
Rechtskräftiger Beschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts
Hamm vom 01.10.2015 (1 RVs 66/15)
Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 03.02.2016