Das Landgericht Stuttgart hat die Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH antragsgemäß zur Auskunftserteilung und Einsicht in Handakten zur Prüfung des Jahresabschlusses der Wirecard AG verurteilt. Ernst & Young muss außerdem, wie vom Kläger beantragt, konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 beantworten (Urteil vom 15.11.2022, Az. 31 O 125/21 KfH).
- Gesellschaftsrecht
- Informationsfreiheitsrecht
Wirtschaftsprüfer von Wirecard zur Auskunft und Akteneinsicht verurteilt
von Carl Christian Müller
Trotz Unabhängigkeit: Wirtschaftsprüfer sind umfassend zur Information verpflichtet
Wirtschaftsprüfer sollen Auskunft über Wirecard-Jahresabschluss geben
Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH verlangt in einem bei der 31. Kammer für Handelssachen des Stuttgart Commercial Court anhängigen Verfahren von der Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GmbH unter anderem Auskunft über den Inhalt von Handakten, Einsicht in die Handakten und Herausgabe der Handakten (letzteres im Wege der Stufenklage). Es geht dabei um die Handakten, die anlässlich von Jahresabschlussprüfungen sowie anlässlich einer vom Unternehmen in Auftrag gegebenen forensischen Sonderuntersuchung angelegt worden waren. Außerdem soll Ernst & Young Auskunft auf konkrete Fragen zu der Prüfung geben, die der Insolvenzverwalter in seiner Klage ausformuliert hat.
Ernst & Young bestätigten Jahresabschluss trotz Zweifel
Im Kern geht es dem Kläger dabei um die Frage, weshalb Ernst & Young im April 2017 als Ergebnis der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat, obwohl die Wirtschaftsprüfer noch kurz zuvor dokumentiert hatten, dass es offene Bilanzierungssachverhalte gebe, die im Zusammenhang mit der forensischen Sonderuntersuchung untersucht worden waren. Im März 2017 hatte der für die Abschlussprüfung verantwortliche Partner dem Finanzvorstand der Wirecard AG noch mitgeteilt, dass bestimmte in 2015 und 2016 gebuchte Umsätze nicht in angemessener Art und Weise nachgewiesen seien und dass sich aus den involvierten Beträgen Konsequenzen für den Konzernabschluss ergeben könnten. Ende März 2017 hatte die Beklagte abermals die Einschränkung des Bestätigungsvermerks angedroht, dann aber wenige Tage später das Testat erteilt.
Prüfer legen Akten gegenüber Untersuchungsausschuss offen
Mit der Angelegenheit „Wirecard“ hatte sich später u.a. auch ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages befasst, dem die Beklagte die Handakten einschließlich der Arbeitspapiere herausgegeben hatte. Gegenüber dem Kläger, dem Insolvenzverwalter der Wirecard-Gesellschaften, war sie aber diesbezüglich nicht zur Auskunft über den Handakteninhalt, zur Gewährung von Einsicht oder zur Beantwortung der gestellten Fragen bereit.
Müssen Wirtschaftsprüfer ihre Akten überhaupt herausgeben?
Im Verfahren vor der 31. Kammer für Handelssachen des Stuttgart Commercial Court stritten die Parteien darüber, ob ein Abschlussprüfer überhaupt Auskunft über seine Handakte geben müsse. Der Kläger hatte seine Klage insbesondere auf die Rechenschaftspflicht gem. §§ 675, 666 Var. 2 BGB gestützt. Zu den berufsrechtlich geschützten Arbeitspapieren (§ 51b Abs. 4 WPO) gehören aus seiner Sicht nur die Unterlagen, die ausschließlich der internen Planung, Dokumentation und Nachschau des Prüfungsauftrages dienen, nicht hingegen die Prüfungsnachweise und –handlungen selbst. Die Beklagte hatte demgegenüber unter anderem auf die besondere Stellung des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer hingewiesen, insbesondere auf seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die bei Bejahung einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem geprüften Unternehmen gefährdet sei. Sie hatte außerdem argumentiert, dass Wirtschaftsprüfer einer strengen Kontrolle durch die Berufsaufsicht unterlägen. Eine etwaige Rechenschaftspflicht sei auf die „Handakten im engeren Sinne“ begrenzt. Interne Arbeitspapiere, seien dagegen durch § 51b Abs. 4 WPO von Auskunfts- und Herausgabeansprüchen ausgenommen.
Ernst & Young muss Auskunft erteilen und Einsicht gewähren
Das LG Stuttgart gab dem Kläger in einem am 15.11.2022 verkündeten Teil- und Endurteil Recht und verurteilte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft antragsgemäß zur Auskunftserteilung und Einsicht in die genannten Handakten. Die Wirtschaftsprüfer müssen außerdem, wie vom Kläger beantragt, konkrete Fragen im Zusammenhang mit der Prüfung des Konzernabschlusses der Wirecard AG zum 31.12.2016 beantworten. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde auch dazu verurteilt, eine Vernichtung der Handakten zu unterlassen. Über den stufenweise geltend gemachten Herausgabeanspruch hatte die Kammer noch nicht zu entscheiden.
Abschlussprüfer sind umfassend zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet
Auch Abschlussprüfer unterliegen nach Auffassung der 31. Kammer für Handelssachen grundsätzlich einer umfassenden Auskunfts- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Auftraggeber, ungeachtet ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und ungeachtet ihrer Weisungsfreiheit. Nach Auffassung der 31. Kammer für Handelssachen erstreckt sich der (hier vom Insolvenzverwalter geltend gemachte) Anspruch des Mandanten auf Auskunft und auf Einsicht in die Handakten insbesondere auch auf die Arbeitspapiere, die zu Recht als wichtige Ergänzung zum Prüfungsbericht gelten, denn sie müssen sämtliche Prüfungsnachweise enthalten und sollen der Stützung der Prüfungsaussagen dienen. Im Rahmen des § 666 BGB müsse der Abschlussprüfer dem Auftraggeber in verkehrsüblicher Weise die notwendige Übersicht und die Kenntnis von den wesentlichen Einzelheiten der entfalteten Prüfungstätigkeit verschaffen. § 51b Abs. 4 WPO dürfe nicht dahingehend missverstanden werden, dass sämtliche Dokumente, mit deren Hilfe der Wirtschaftsprüfer den Fortgang der entfalteten Prüfungstätigkeit festhält, dem Zugriff des Mandanten von vornherein entzogen wären. Die Norm schränke lediglich die Herausgabe von Unterlagen ein, nicht jedoch den Auskunftsanspruch des Auftraggebers durch Einsicht in die Unterlagen.
Streitwert auf 13 Millionen Euro festgelegt
Die Frage, ob die Beklagte gegenüber den Wirecard-Gesellschaften für etwaige Schäden haftet, war nicht Gegenstand des Verfahrens. Nachdem die Klage jedoch nach klägerischer Darstellung der Prüfung und Verfolgung möglicher Ersatzansprüche in mehrstelliger Millionenhöhe dient, setzte die Kammer den Streitwert auf 13 Mio. Euro fest. Das Teil- und Endurteil wurde im Tenor am 15.11.2022 direkt nach der mündlichen Verhandlung verkündet und den Parteien mit ausführlicher Begründung Anfang Dezember 2022 zugestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des LG Stuttgart vom 12. Dezember 2022