Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
BVerfG: Auch überspitzte Äußerungen fallen nur in engen Grenzen
von Carl Christian Müller
Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts entschieden und die verfassungsrechtlichen
Maßstäbe zur sogenannten Schmähkritik bekräftigt. Selbst eine überzogene
oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht
zur Schmähung. Vielmehr muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht
mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung einer
Person im Vordergrund steht. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine
Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls
verzichtet werden.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Das Amtsgericht wies eine Schadensersatzklage des Beschwerdeführers ab;
die Berufung gegen dieses Urteil blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer
erhob eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des
Amtsgerichts, in der er unter anderem ausführte, er protestiere „gegen
das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der
Richterin“ und meine, „sie müsse effizient bestraft werden um zu
verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund dieser
Äußerungen wegen Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) zu
einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 €. Im Berufungsverfahren
sprach das Landgericht den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil
hob das Oberlandesgericht jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies
das Verfahren zurück. Das Landgericht verwarf die Berufung des
Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des
Beschwerdeführers blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des
Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht
auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. Das Urteil des Landgerichts, dem sich das Oberlandesgericht
anschließt, nimmt in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und
Weise an, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen um
Schmähkritik handle. Hierbei verkennt das Landgericht die
verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als
Schmähkritik.
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen in der Fachgerichtsbarkeit
entwickelten Begriff wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden
Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige
Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.
Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im
Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter
Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann
ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik
bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren,
nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte
Privatfehde beschränkt bleiben.
Dem genügt die Entscheidung des Landgerichts nicht. Auch in der
Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine
schiefe Bahn gerate, geht es nicht allein um eine Verunglimpfung der
Betroffenen, sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen
sachlichen Hintergrund hat. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf das
von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und
bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete
Stelle. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese
hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage. Bezüglich der
weiteren Äußerungen begründet das Landgericht seine Einordnung als
Schmähkritik überhaupt nicht.
2. Soweit das Landgericht hilfsweise dennoch eine Abwägung vornimmt,
verstößt es hierbei zunächst insofern gegen die Meinungsfreiheit, als es
die Äußerung des Beschwerdeführers, „es müsse verhindert werden, dass
die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate“, dahingehend auslegt, dass
hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten
unterstellt wird. Mit anderen möglichen Deutungen hat sich das
Landgericht nicht auseinandergesetzt. Voraussetzung jeder rechtlichen
Würdigung von Äußerungen ist jedoch, dass ihr Sinn zutreffend erfasst
worden ist. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt
vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung
führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen
Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben.
Auch im Übrigen genügt die Abwägung nicht den verfassungsrechtlichen
Maßstäben. Das Landgericht stellt einseitig auf den Ehrschutz ab, ohne
die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ausreichend zu
berücksichtigen. Insbesondere wird nicht hinreichend gewürdigt, dass der
Beschwerdeführer das Schreiben zwar auch an die Gegenseite gesandt, den
Adressatenkreis des Schreibens aber überschaubar gehalten hat. Zudem ist
bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im
„Kampf ums Recht“ befand und ihm hierbei zur plastischen Darstellung
seiner Position grundsätzlich erlaubt ist, auch starke und eindringliche
Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne
jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen.
3. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden
daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen.
Quelle: Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht vom 02.10.14