Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht dem Ausschluss auf elektronischem Weg gelieferter digitaler Bücher, Zeitungen und Zeitschriften von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht entgegen
EuGH: Keine ermäßigte Mehrwertsteuer für eBooks
von Carl Christian Müller
Die Mehrwertsteuerrichtlinie ist in dieser Hinsicht gültig
Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten auf gedruckte Publikationen wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden. Für digitale Publikationen gilt hingegen der normale Steuersatz, mit Ausnahme digitaler Bücher, die auf einem physischen Träger wie etwa einer CD-ROM geliefert werden.
Das vom polnischen Bürgerbeauftragten angerufene polnische Verfassungsgericht zweifelt an der Gültigkeit dieser unterschiedlichen Besteuerung. Es möchte vom Gerichtshof zum einen wissen, ob diese Besteuerung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, und zum anderen, ob das Europäische Parlament am Gesetzgebungsverfahren hinreichend beteiligt wurde.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass durch die Regelung in der Mehrwertsteuerrichtlinie, soweit mit ihr die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg ausgeschlossen wird, während sie bei der Lieferung digitaler Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, zwei Sachverhalte ungleich behandelt werden, die in Anbetracht des vom Unionsgesetzgeber mit der Gestattung der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei bestimmten Arten von Büchern verfolgten Zwecks, und zwar dem der Förderung des Lesens, vergleichbar sind.
Sodann prüft der Gerichtshof, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der Maßnahme, die zu einer solchen unterschiedlichen Behandlung führt, verfolgt wird, und wenn die unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht. Beim Erlass einer steuerlichen Maßnahme muss der Unionsgesetzgeber Entscheidungen politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art treffen, divergierende Interessen in eine Rangfolge bringen oder komplexe Beurteilungen vornehmen. Infolgedessen ist ihm in diesem Rahmen ein weites Ermessen zuzuerkennen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der genannten Voraussetzungen auf offensichtliche Fehler beschränken muss. In diesem Kontext weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Ausschluss der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg die Konsequenz der für den elektronischen Handel geltenden Mehrwertsteuer-Sonderregelung ist. In Anbetracht der fortwährenden Weiterentwicklungen, denen elektronische Dienstleistungen als Ganzes unterworfen sind, wurde es nämlich als erforderlich angesehen, für diese Dienstleistungen klare, einfache und einheitliche Regeln aufzustellen, damit der für sie geltende Mehrwertsteuersatz zweifelsfrei ermittelt werden kann und so die Handhabung dieser Steuer durch die Steuerpflichtigen und die nationalen Finanzverwaltungen erleichtert wird. Durch den Ausschluss der elektronischen Dienstleistungen von der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erspart es der Unionsgesetzgeber den Steuerpflichtigen und den nationalen Finanzverwaltungen, bei jeder Art solcher Dienstleistungen zu prüfen, ob sie unter eine der Kategorien von Dienstleistungen fällt, die nach der Mehrwertsteuerrichtlinie in den Genuss eines ermäßigten Satzes kommen können. Eine solche Maßnahme muss deshalb als zur Verwirklichung des mit der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für den elektronischen Handel verfolgten Ziels geeignet angesehen werden. Würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, auf die Lieferung digitaler Bücher auf elektronischem Weg einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, wie es bei der Lieferung solcher Bücher auf jeglichen physischen Trägern zulässig ist, würde überdies die Kohärenz der gesamten vom Unionsgesetzgeber angestrebten Maßnahme beeinträchtigt, die darin besteht, alle elektronischen Dienstleistungen von der Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auszunehmen.
Zur Pflicht, das Europäische Parlament im Gesetzgebungsverfahren anzuhören, führt der Gerichtshof aus, dass sie impliziert, das Parlament immer dann erneut anzuhören, wenn der letztlich verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem es bereits angehört wurde, es sei denn, die Änderungen entsprechen im Wesentlichen einem vom Parlament selbst geäußerten Wunsch. Sodann prüft der Gerichtshof, ob in Bezug auf die Bestimmung der Richtlinie, mit der die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung von Büchern auf physischen Trägern beschränkt wird, eine erneute Anhörung des Parlaments erforderlich war7. Der Gerichtshof sieht dabei in der Endfassung der betreffenden Bestimmung nur eine redaktionelle Vereinfachung des Textes des Richtlinienvorschlags, dessen Wesen in vollem Umfang erhalten blieb. Der Rat war daher nicht verpflichtet, das Parlament erneut anzuhören. Die Richtlinienbestimmung ist folglich nicht ungültig.
Quelle: Pressemitteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 07.03.2017