• Datenschutzrecht

BVerwG legt dem EuGH deutsche Vorratsdatenspeicherung vor

Das Bundesverwaltungsgericht fragt den Europäischen Gerichtshof (EuGH), ob die im Telekommunikationsgesetz enthaltenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung mit Europäischen Recht vereinbar ist. Das war längst überfällig. Wir hatten bereits vor vier Jahren das Bundesverfassungsgericht im Rahmen unserer Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung geben, diese Frage dem EuGH zur Klärung vorlegen. Wohl auch deshalb hat das Bundesverfassungsgericht unsere Verfassungsbeschwerde zurückgestellt.

von Carl Christian Müller

Schriftzüge Datenschutz Vorratsdatenspeicherung Privatsphäre

Internetprovider wollen keine Daten auf Vorrat speichern

Geklagte hatten zwei Telefon- bzw. Internetprovider. Sie wehren sich gegen die mit der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung einhergehende Verpflichtung, die Telekommunikationsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Die für eine Dauer von zehn Wochen zu speichernden Daten umfassen u.a. die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung oder der Internetnutzung bzw. die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs einer Kurznachricht, zugewiesene Internetprotokoll-Adressen und Benutzerkennungen sowie Kennungen der Anschlüsse und Endgeräte. Für eine Dauer von vier Wochen zu speichern sind zudem Standortdaten, d.h. im Wesentlichen die Bezeichnung der bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzelle. Mit Ausnahme der Internetprotokoll-Adresse dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten von den zuständigen Behörden nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden.

Verwaltungsgericht Köln: Daten müssen nicht gespeichert werden

Das Verwaltungsgericht Köln hatte in der ersten Instanz bereits festgestellt, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die im Gesetz genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiellrechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des  EuGH vom 21. Dezember 2016 in den verbundenen Rechtssachen C-203/15 (Tele2 Sverige) und C-698/15 (Watson) geklärt. Gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen hat die Beklagte, vertreten durch die Bundesnetzagentur, jeweils Sprungrevision eingelegt.

BVerwG: Ist Vorratsdatenspeicherung mit EU-Recht vereinbar?

Das Bundesverwaltungsgericht vertrtt die aus unserer Sicht zutreffende Auffassung, dass die Entscheidung des davon abhängt, ob der durch die gesetzliche Speicherpflicht bewirkte Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation auf der Grundlage der Erlaubnisnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt ist. Zwar habe der EuGH abschließend geklärt, dass die Richtlinie auf nationale Regelungen der Vorratsspeicherung anwendbar ist und dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung entgegenstehe, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht.

Klärungsbedarf verbleibe jedoch in Bezug auf die Frage, ob eine nationale Regelung, die - wie § 113a i.V.m. § 113b TKG - eine Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorsieht, unter keinen Umständen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gestützt werden kann.

Diese Auffassung hatten wir bereits mit dem von uns am 06.11.2015 beim Bundesverfassungsgericht eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vertreten. Auch mit unserer am 18.12.2015 beim Bundesverfassungsgericht gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung eingereichten Verfassungsbeschwerde haben wir beantragt, diese Fragen beim EuGH vorzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat unseren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bedauerlicherweise zurückgewiesen und die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zurückgestellt, nachdem wir am 06.07.2017 eine Verzögerungsrüge und einen erneuten Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt hatten. Traditionell tut sich Bundesverfassungsgericht eher schwer damit, dem Europäischen Gerichtshof Rechtsfragen zur Entscheidung vorzulegen. 

Bundesverwaltungsgericht: Zweifel an einem generellen Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung

Zur Begründung der Vorlageentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

"Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der von der Speicherpflicht erfassten Kommunikationsmittel und die Speicherdauer gegenüber den schwedischen und britischen Regelungen, über die der EuGH zu entscheiden hatte, reduziert ist. Ferner enthalten die deutschen Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu. Außerdem besteht angesichts des mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbundenen spezifischen Gefahrenpotenzials ein Spannungsverhältnis zwischen den in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der aus Art. 6 GRC folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, andererseits. Ein ausnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung würde den Handlungsspielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich einschränken und sich damit tendenziell auch von der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention entfernen. Schließlich geht aus verschiedenen beim EuGH bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21. Dezember 2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer „Kompensation“ durch restriktive Zugriffsregelungen und hohe Sicherheitsanforderungen überwunden werden kann."

Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt

Führt das Vorabentscheidungsverfahren zu dem Ergebnis, dass § 113a i.V.m. § 113b TKG unionsrechtswidrig ist, sind die Klägerinnen auch in ihren Rechten verletzt. Denn die Speicherpflicht stellt einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit der Klägerinnen dar. Verstoßen diese Regelungen gegen Unionsrecht, dürfen sie wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. Dann ist diese Grundrechtseinschränkung nicht i.S.d. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC „gesetzlich vorgesehen“.

BVerwG 6 C 12.18 - Beschluss vom 25. September 2019

Vorinstanz:

VG Köln, 9 K 3859/16 - Urteil vom 20. April 2018 -

BVerwG 6 C 13.18 - Beschluss vom 25. September 2019

Vorinstanz:

VG Köln, 9 K 7417/17 - Urteil vom 20. April 2018 -

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.09.2019

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